(Mittwoch, 20. April 2022)

[„Russisches Kino boykottieren: Eine ukrainische Perspektive“]

goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films


Neutralität ist kein Standpunkt

 

Wie schon bei der Eröffnung, so gab es auch bei der Preisverleihung am Montagabend eine Schweigeminute für die Ukraine: Das 22. goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films ging zu Ende und stand ganz im Zeichen der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse. Dabei lief besonders die Diskussionsrunde „Russisches Kino boykottieren: Eine ukrainische Perspektive“ unter besonderer Spannung. Barbara Wurm, auch für die Auswahlkommission der Berlinale tätig, erklärte bereits zur Einführung mit zitternder Stimme: „Wir sind in einem Prozess des Lernens, wo noch niemand weiß, wohin es uns führen wird.“ Auch Festivalleiterin Heleen Gerritsen ist da nervös, denn die Erwartungen an diese Debatte, ebenso wie an das Festival, waren im Vorfeld hoch. Innerhalb der letzten Monate entschied sich das Team dafür, die Zusammenarbeit mit staatlichen sowie staatsnahen russischen Filmeinrichtungen bis auf Weiteres auszusetzen.

 

Weitermachen war keine Option

 

Bei der Diskussionsrunde erklärt Volodymyr Sheiko, Generaldirektor des Ukrainischen Instituts, dass dieses dazu aufgerufen habe, russische Filme zu suspendieren, solange bis der russische Angriffskrieg endet. Denn sei es wirklich erstrebenswert, die russische Kultur weiter zu fördern, wenn in der Ukraine die Menschen unter dieser sogenannten „Kultur“ leiden? Die medialen Zeugnisse in allen Medien sprechen stetig Bände, dass hier augenblicklich nichts förderungswürdig erscheint. Die russische Kultur habe lange die Vorteile des Westens genossen, mit Residenzen, Ausstellungen, Produktionen und Preisen: Nun gelte es, dies auszusetzen, bis die Aggression endet.

 

Maksym Nakonechny, unabhängiger Filmschaffender und zusammen mit Alina Gorlova goEast-Preisträger des Vorjahres mit dem Film „Der Regen wird niemals enden“ wünscht sich da weniger Druck, sondern einen fortlaufenden Diskurs, denn es sind schwerwiegende Entscheidungen, arbeitsbedingte und freundschaftliche Kontakte jetzt abrupt beenden zu müssen und sich gegen weitere Zusammenarbeiten zu entscheiden. Sein eigenes Spielfilmdebüt „Butterfly Vision“ wird dieses Jahr in Cannes Premiere feiern: Da kommt von Daria Badior, Filmkritikerin und Kuratorin der Woche der Kritik in Kyjiw, natürlich die Frage, wie es sein könne, dass im dortigen Wettbewerb ein Film mit dem Titel „Z“ läuft.

 

Richtungweisende Entscheidungen

 

In dem Versuch eines sensiblen Umgangs mit dem Thema, – wie Ellen Harrington, Direktorin im Deutschen Filminstitut & Filmmuseum Frankfurt am Main, auf der Bühne bei der Preisverleihung Heleen Gerritsen und das Team loben wird –, wäre dies bei der Programmselektion von goEast nicht so geschehen. Ein feinfühliges Bauen von Brücken zwischen Osten und Westen, das war schon immer die Aufgabe des Filmfestivals. Die Erwartungen, sie könnten Friedensgespräche zwischen Russland und der Ukraine an einem runden Tisch führen: utopisch –, doch sie tun erneut das, was sie seit Jahren am besten können: Die Stärke in der Beziehung zwischen Ost und West ans Licht bringen.


© Tina Waldeck 2022