(Mittwoch, 20. April 2023)
[Edgar Reitz: Thesen zum Strukturwandel der Kinobranche]
Lichter Filmfest Frankfurt International
Warum noch Kino?
„Es ist alles schon gesagt, aber nichts passiert …“ Schon beim 1. Kongress Zukunft Deutscher Film hatte Edgar Reitz die Dinge bemängelt, die nun, beim 3. Kongress Zukunft Deutscher Film auf dem Lichter Filmfest Frankfurt International, immer noch genauso aktuell sind. In seinem neuesten Plädoyer sieht die Ikone des Oberhausener Manifests den Menschen als Doppelwesen und zweierlei abhängig: im öffentlichen Raum von der sozialen Interaktionen innerhalb der Gesellschaft sowie gleichzeitig von einer „privaten Höhle“ als Regenerations- und Rückzugsort.
Ein stetiges Verhältnis zwischen Vertrautem und Unbekannten, Ruhe und Spannung. Mithilfe der Medien überschneiden sich diese Räume und verdrehen sich teilweise in ihr Gegenteil. So kommt im freien öffentlichen Räumen plötzlich die Pflicht, Smartphones auszuschalten – und sich damit auf sich und seine Körperlichkeit zu besinnen –, während in den privaten Räumen stetig das Unbekannte aus den Streaming-Diensten auf einen einprasselt. „Zuhause ist alles und draußen ist nichts mehr zu haben“, so wandeln sich die Empfindungen.
Wird da das Kino nur noch als „nostalgische Zumutung“ empfunden, – und die Menschen darin außerhalb einer weiterlaufenden Zeit? „Unzeitgemäß“ wird gerufen: „Ein Häuflein“ von schlecht gelaunten Zuschauenden und stickige Luft in kleinen Hinterhöfen oder Kellerräumen. Ein schleichender Verlust des eigentlichen Wertes, – wo einst durch anderer Atmosphären Freiräume in den Gedanken als „Stimmung der Wahrnehmung“ und die thematischen Kommunikationen als Erweiterung des Gefühlsraumes für sich selbst erschlossen, ergänzt und erweitert werden konnte.
Ist noch ein Bedürfnis nach geschlossenen Räumen da?
Edgar Reitz möchte nicht auf die Kinos als Wirkung und Reaktion zu seiner Arbeit verzichten. Die körperlichen Reaktionen, wie weinen oder lachen direkt mitzuempfinden, öffnet den eigenen Horizont in die abweichende Wahrnehmungen der anderen hinein. Spannungspunkte der Interaktion: „Durch rein sachliche Analysen wird keine Kunst gemacht.“ Gefühle drücken sich in den „emotionalen Kontinentalplatten“ aus, die aufeinanderprallen und einander verschieben. Gefühle der Gemeinschaft, die nur in solchen Räumen entstehen. Hier sollte immer weiter an Initiativen gearbeitet werden, die Begegnungsstätten erhalten, welche sich Zeit für eine weiterführende Verarbeitung nehmen.
Der Filmemacher erklärt die Zeit für die verstaubten Film-Theater mit schweren Samtvorhängen und Popcorn endgültig zu einer Vergangenheit: „Ein Irrtum der Vorzeit.“ Was Deutschland braucht, ist „eine Elbphilharmonie des Kinos.“ Und Verantwortliche dort, denen die Liebe zu dieser Arbeit wichtig ist. Die nicht den Fokus nur auf Geld haben: Leidenschaft hat keinen Preis. Liebe zu dieser Arbeit an die jungen Generationen weiter geben – „das ist das, was fehlt.“ Eine Begeisterung, die sich auch auf das Publikum überträgt, in angepassten Spielorten, die sich inhaltlich und vielleicht auch atmosphärisch an den veränderten Bedürfnissen anpassen.
Auch plädiert Edgar Reitz nach wie vor für das Fach „Schulfilm“, damit sich etwas in der grundlegenden Filmbildung ändert: Damit die nachkommenden Generationen sich nicht an den ungefilterten Massenkonsum gewöhnen. In allen Bereichen werden Menschen geschult, warum bleiben sie dann mediale Analphabeten? Auch hier braucht es eine Bildung – und eine Ausbildung an Lehrkräften. Hier könnte die Kompetenz, – die von den Filmschulen und Universitäten kommt –, im System auch sinnvoll genutzt werden, um „neue Wiederentdeckungen“ in Bewegung zu setzen. Denn „Gemeinschaftsgefühle entstehen durch Räume“, die von Menschen zusammen geschaffen und bespielt werden.
© Tina Waldeck 2023