(Mittwoch, 17. April 2024)
[Alexander Kluge, Elisabeth Bronfen und Rüdiger Suchsland „Die unausgeschöpften Möglichkeiten Europas”]
Lichter Filmfest International
Auf dem 4. Kongress »Zukunft deutscher Film« spricht Alexander Kluge – via Livestream zugeschaltet – im Gespräch mit der Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen über die unausgeschöpften Möglichkeiten Europas. Zwei Personen auf einer Wellenlänge, verständnis- und respektvoll – Attribute, die nicht nur in Europa manchmal zeitgemäß zu fehlen scheinen.
Wie emotionale Zuwendung generieren?
Alexander Kluge freut sich über die Begegnung – in seiner Jugend wäre es undenkbar gewesen, dass sie heute den Raum teilen, obwohl sie eine hohe Entfernung doch trennt. Jetzt erkennt er die Bühne in Frankfurt und das Publikum in Frankfurt erkennt ihn. Einige menschlich mehr, andere weniger. Aufbauend stellt Moderator Rüdiger Suchsland das Buch „Napoleon Kommentar. Ein Mensch aus Trümmern gegossen“ von ihm vor, denn darauf bauen auch seine drei Kurzfilme „Cosmic Miniatures“ auf, die schon bei dem Internationalen Filmfestival in Rotterdam 2024 für Gesprächsstoff sorgten. Eine imaginäre Reise mit KI erzeugt. Was kann sein, was könnte sein und was hätte sein können?
Eine Verfälschung von Erinnerung für den Aufbau von Zukunft?
Eigentlich hängt Alexander Kluge sehr an langen Filmen, aber „in dieser nervösen Zeit“ scheint es ihm auch mal gut, „sich kurz zu fassen“ – und so holt er verbal aus, denn die Pausen sind wie geschaffen, um zu kommentieren. „Wie es in den Vorstellungen einmal wirklich aussah, das ist eine Frage wert.“ Was lehrt uns die Geschichte, was gibt sie uns für Ideen mit auf den Weg? Im Krieg entscheidet das Wetter, „der gute Wille zählt da nicht“ – manche beenden die großen Feldzüge, andere nicht. Und nicht immer ist das ein Scheitern. Auch der Ausdruck von Trauer über die verlorenen Optionen wird immer wieder neu rezipiert: Alexander Kluge führt Caspar David Friedrich als heroisches Beispiel an. Farben, die dem Scheitern erfolgreich Ausdruck gegeben und wieder andere Künstler*innen inspiriert haben. Vielleicht ist Alexander Kluge selbst kein Künstler, denkt er weiter, aber er sieht sich als Beobachter von Zusammenhängen: Auch wenn es vielleicht nicht Balzac wird, „was ist erzählenswert“ für die nächste Filmkunst-Generation?
Schon mit Werner Nekes hat er sich über die Vorstufen der KI – zwei Fäden mit Bildern zusammenbinden, sie drehen lassen und schauen, welche Bilder generiert werden –, ausgetauscht. Es ist ein Spiel mit dem „optischen Unbewussten“, nach Walter Benjamin. Schon früher hat seine Kamera manchmal Bilder festgehalten, die er selbst nicht gesehen hat. So bildet nun die KI den Konjunktiv der Bilder ab – als nächstes Handwerkszeug. Dabei ist es wichtig, eigene Gedankenlinien zu erschaffen, fügt Elisabeth Bronfen hinzu. Sich in verschiedene facettenreiche Bildformen hineinzudenken und die Lust am Experimentieren nicht zu verlernen. Gerade aus diesen „Was-wäre-wenn“-Gedanken, eröffnen sich die Möglichkeiten, um alternative Geschichten im neuen Gewand zu erzählen, die Spielräume zwanglos erweitern. Die „Patrioten der Filmkunst“ müssen alle Mittel für die Erweiterung des Handwerks ausschöpfen.
„Wie ein Maulwurf“ arbeiten
Können die Möglichkeiten nun mit der KI zu Wegweisern für die Gemeinschaften werden, oder wird das Experiment scheitern? Auch Alexander Kluge hat Vorstellung davon, „was passieren würde“, wenn „das aufgehalten werden kann, was gerade gesellschaftlich passiert“ und Sorgen mit produziert. Gesellschaftliche Stimmungen, die gewisse Themen im Raum überhaupt erst mitschwingen lassen. Europa ist voller Maulwürfe, erklärt Alexander Kluge. Voller Unterwühlungen. Voller Abschätzungen. „Wie albern ist Fast Food“ im Vergleich zur italienischen Küche – und doch hat alles seine Daseinsberechtigung. Toleranz ist auch eine Seite von Europa und die unterschiedlichen Facetten, die es lebendig machen. Im Nationalismus ist Vielfalt völlig untergegangen. Wenn jetzt daran gedacht wird, dass schon 1813 Napoleon an ein vereinigtes Europa gedacht hat – was wäre gewesen, wenn sich Europa hier schon gegründet und es vielleicht keinen Zweiten Weltkrieg gegeben hätte? In diesen auch politischen Überlegungen wird die Kunst – auch die Filmkunst – laut Alexander Kluge immer wieder „wie Phönix aus der Asche aufstehen“ – damit die gemeinsamen Irrtümer herausgefunden werden können, in einer Welt – in einem Europa – das noch lange nicht zu Ende gedacht ist.
© Tina Waldeck 2024