[ A Black Jesus ]

Luca Lucchesi | Deutschland, 2020


Lichter spiegeln sich auf der Wasseroberfläche. Luftaufnahmen einer felsigen Landschaft in friedlicher Morgenstimmung: Die Kamera umkreist einen Fischer, der gelassen seine Netze einholt. Zwei dunkelhäutige Männer gehen über den Strand und schauen nachdenklich zu ihm hinüber. Für die einen ist das Meer Arbeit, Nahrungsquelle und Heimat – für die anderen Flucht, Hoffnung oder Tod. 

Am Land wehen Wäscheleinen im Wind und sorgfältig werden Briefkästen abgestaubt: Siculiana trägt Sizilien im Namen. Die Menschen hier sind gastfreundlich. Niemand würde sagen, das ist „deins“ und das „meins“, sondern alles ist „unseres“, so bekräftigen sie. Aber „unseres“, das inkludiert nicht unbedingt Fremde. Die beiden Männer schütteln den Kopf über die Absurdität, dass die Menschen hier im Dorf eine schwarze Jesusfigur am Kreuz als Heiligtum anbeten, aber nichts für die Schwarzen aus Fleisch und Blut übrig haben.


Filmbild aus A Black Jesus ©Luca Lucchesi | Deutschland, 2020
Filmbild aus A Black Jesus ©Luca Lucchesi | Deutschland, 2020
Filmbild aus A Black Jesus ©Luca Lucchesi | Deutschland, 2020
Filmbild aus A Black Jesus ©Luca Lucchesi | Deutschland, 2020

Die Faszination und die Angst vor dem, was anders ist

Während eines gemeinsamen Kochens unterhalten sich mehrere ältere Frauen über die Migranten, die so aussehen, als seien sie in schwarze Tinte getaucht: Sie sind zwar wie sie auch Menschen, natürlich, aber sie gehören ja doch einer anderen Rasse an. Das ist nun mal so. Nicht, dass sie selbst noch aus ihrer Heimat vertrieben werden! Schnitt auf Demonstrant*innen, die durch schmale Häuserschluchten ziehen. Hier kämpfen sie für ihre Kinder, die selbst kaum noch Platz haben. Sie wollen nicht, dass die geflüchteten Menschen sich einleben oder gar bleiben. Selbst für Einheimische ist kaum genug Arbeit da und man muss aus der Not heraus auf die umliegenden Städte oder Länder ausweichen. Und auch Italiener*innen werden in anderen Ländern diskriminiert ... Wo zieht man also die Grenzen der Offenheit, der Gastfreundschaft und der Toleranz?

Der junge Mann, der Fremde, der geflüchtete Mensch, senkt den Kopf. Wie wird es weitergehen? Als er das erste Mal die Kreuzzeremonie sah, war er fasziniert: Die Kamera schwenkt über die schmalen Schluchten der Gebäude entlang, wo der schwarze Jesus einmal im Jahr auf den Schultern der einheimischen Männer durch das Dorf getragen wird. Mit vereinigten Kräften wird das schwere Konstrukt den Berg hinunter und wieder hinauf gehievt. Auch die schwarzen Männer glauben an Gott. Wenn Gott nicht wäre, wären sie bei der Flucht über das Meer vielleicht schon längst gestorben ... Der junge Mann nimmt sich ein Herz und sucht den Pfarrer auf: Ob es möglich ist, das er bei der nächsten Zeremonie den Jesus auch auf seinen Schultern mittragen darf? Als Symbol für ein Miteinander? 

Fazit

Bereits seit 2009 unterstützt Luca Lucchesi Wim Wenders als Regieassistent, Editor und Kameramann. „A Black Jesus“ ist sein erster dokumentarischer Langfilm als Regisseur, in welchem er drei Jahre die Menschen in seinem Heimatdorf begleitet hat und dabei nicht nur beeindruckende Aufnahmen der Landschaft sowie der Atmosphäre innerhalb des Dorfes einfangen konnte. Besonders seine eigene Nähe zu den Menschen spürt man in den zwischenmenschlichen Momenten, die liebevoll und leicht melancholisch die Probleme vieler heutiger Gesellschaften einfangen, ohne dabei jemanden aufgrund seiner Meinung an den Pranger zu stellen: Die Abneigung hat Charme, wenn auch mit einem manchmal schalen Beigeschmack. Dabei wird immer wieder in kleinen, unaufdringlichen Details das Thema aufgegriffen: So kommt der Zuschauer zusammen mit den dunkelhäutigen Männern – in der Rolle des Fremden – über das Meer im Dorf an, und man erfährt als Erstes das Aufbegehren und die Ablehnung, die sich nach und nach mit einem Einleben und Kennenlernen harmonisiert. Fast nebenbei erfährt man die Geschichte, wie das Kreuz eigentlich selbst nach Siculiana gekommen sein soll, und erlebt weitere Feste und Feiern, die intensiv Nächstenliebe und Gastfreundschaft zelebrieren. So entsteht mit dem Einfühlen in die Strukturen des Dorfes ein Gefühl von Heimat. Umso bitterer verbleibt der Film am Ende in der Realität verortet, wo Gefühl, Symbol und eigentliche Geste oft nicht unbedingt ineinandergreifen. 



Der von Wim Wenders produzierte Film »A Black Jesus« lief unter anderem auf dem DOK Leipzig 2020 und eröffnete sehenswert das 42. Filmfestival Max Ophüls Preis 2021.


© Tina Waldeck 2021