[A Symphony of Noise]
Enrique Sánchez Lansch | Deutschland 2021
3 Uhr morgens in einem der tiefsten Ozeane des Pazifiks. Erdplatten verschieben sich in gewaltigem, knarrendem Ausmaße, – dann: ein dumpfer Aufprall. An einem U-Boot sind 12 wasserdichte Lautsprecher aufgereiht und ein Hydrofon nimmt alle Geräusche auf.
Aus dem Klang der Realität Musik erschaffen
Schnitt zu Matthew Herbert, Komponist und Künstler, der sich auf einen Bühnenauftritt vorbereitet. Die Leute wollen immer, dass er leicht verdauliche Musik macht: angenehm, eingängig und unterhaltsam. Aber er möchte lieber Musik aus einem Zoo machen, der in Flammen steht. Oder erforschen, wie ein Finanzsystem klingt. Was auch immer er an dieser Welt faszinierend empfindet oder als falsch ansieht, das möchte er musikalisch aufzeichnen und ironisch zerlegen.
In vielen Interviews muss er immer noch von seinem Album „One Pig“ erzählen. Da grunzt es und schnauft, dann werden Knochen zersägt und Blut tropft von der Schlachtung in einen Eimer. „Wird es in einen politischen Kontext gestellt, können es Menschen unmöglich nur als Musikstück wahrnehmen.“ Es ist seine Verantwortung als Künstler, die Wahrnehmung der Menschen zu verändern. In der Lage zu sein, mit einem Mikrofon die Erinnerungen an ein Leben festzuhalten – das war für ihn ein gewaltiger Gedanke.
Mittlerweile ist einiges in seinem D'oeuvre hinzugekommen. Zwanzig Jahre hat er für die Veröffentlichung des Buches „The Music“ gebraucht. Vor 15 Jahren hat er 3.500 Menschen aufgenommen, die gleichzeitig einen Apfel gegessen haben: „Plat du Jour“ – ein Album ganz aus Essen und er hat sich gefühlt, wie eine Mischung aus Stephan Hawkings, Jesus und Jimi Hendrix. Klänge haben ihm immer die Möglichkeit gegeben, die Welt zu verstehen und über das Universum nachzudenken. Bei dem Austritt von Großbritannien aus der EU hat er die Brexit Big Band gegründet, in der alle Nationalitäten willkommen sind. Bedacht hinhören: Mal generell stehen bleiben und zuhören. Und danach alle rechten Regierungen herausschmeißen und anstatt dessen lieber die Rechte der Bevölkerung vertreten, lacht er.
Fazit
In wilden Schnitten versucht der Film ein Leben einzufangen, das förmlich überfüllt ist an Interessen, Leidenschaften und politischer, sowieso musikalischer Wirkungs- und Schaffenskraft. Von den Anfängen in den 80ern auf einem Vierspur-Kassettenrekorder bis zu den gigantischen Kompositionen der Neuzeit: Er hat seinen Experimentiergeist nicht verloren. Immer wieder setzt er Dinge in Bezug und verarbeitet damit auf seine Weise die Ereignisse in der Welt. Vielleicht hätte ein etwas entschleunigter Rahmen dem Film mit seinem unruhigen Geist darin noch etwas mehr Würde und Kraft geben können, – aber so können die Zuschauer:innen ganz in dessen weiten und vielfältigen Kosmos der unendlichen Klangkulissen ein- und abtauchen.
»A Symphony of Noise« lief auf dem edimotion – Festival für Filmschnitt und Montagekunst und konnte im Bereich Tongestaltung und bester Schnitt den Deutschen Filmpreis 2021 gewinnen.
© Tina Waldeck 2021