[Berlin Alexanderplatz]

Burhan Qurbani | Deutschland 2020


Das Flüstern von Stimmen. Im blutroten Wasser steht alles Kopf. Mann und Frau klammern sich aneinander und die Wellen schlagen hoch, als sie zusammen untergehen. Er taucht alleine wieder auf. „Ida“, ruft er verzweifelt. Schnitt zu dem roten Licht in einem Klub. Sein Blick senkt sich zwischen den Tanzenden. „Dies ist die Geschichte von Francis B“, flüstert eine weibliche Stimme. „An den Strand eines neuen Lebens gespült, hat er überlebt.“

Doch das Überleben ist nur eine Gnadenfrist

In einem Bergwerk folgt die Kamera den Arbeitern an schweren, dreckigen Maschinen vorbei. Mit seinen Kollegen geht er nach der Schicht hinaus. Der weiße Vorarbeiter brüllt, was „der Affe“ da macht. Wütend dreht sich Francis (Welket Bungué) herum. Alltagsrassismus und Abwertungen derer, die keine andere Wahl haben, weil sie sich hier illegal bewegen: Keine Aufenthaltserlaubnis und keine Papiere haben. Er lernt Deutsch: Sonne. Er schaut ins Licht und wiederholt die Worte. Tag. Nacht. Schwarz. Haut.

Da trifft er auf Reinhold (Albrecht Schuch): Niemand hat es verdient, so zu leben, erklärt dieser in den kleinen Unterkünften und verkündet, ihnen helfen zu wollen. Natürlich nicht ganz uneigennützig, aber alles, was sie dafür tun müssen, ist, Drogen für ihn zu verkaufen. Eigentlich will er sie nur tiefer in die Scheiße ziehen, stellt ein Freund von Francis klar. Doch Deutschland ist ein freies Land, da können sie machen, was sie wollen: Für die Interessierten verteilt Reinhold Geldscheine, auf denen seine Telefonnummer notiert ist. Auch Francis erhält einen 100-Euro-Schein. Hat er eine Wahl, wenn da sonst kein Weg ist?


Filmbild aus Berlin Alexanderplatz ©Burhan Qurbani | Deutschland 2020
Filmbild aus Berlin Alexanderplatz ©Burhan Qurbani | Deutschland 2020

Dabei möchte Francis doch einfach nur „gut“ sein. „Du willst in einer Welt gut sein, die böse ist“, erklärt ihm Reinhold in seiner Wohnung: „Existenzen werden immer auf Kosten von anderen aufgebaut.“ Philosophische Gespräche im Whirlpool. Alltagsrassismus und Abwertungen folgen auch hier, doch (noch) fühlt er sich integriert, lacht darüber und schlägt die Warnungen anderer in den Wind. Auch Eva (Annabelle Mandeng) möchte ihm helfen: Er könnte doch bei ihnen im Klub als Türsteher arbeiten, das wäre eine ehrliche Arbeit? Doch Francis zögert, schließlich hat er schon einen Job und Reinhold ist sein „Freund“. Dass dieser Mann nur alle Menschen ausnutzt und ein Psychopath ist, versucht auch sie ihm zu zeigen, – aber Francis bleibt loyal dem gegenüber, der ihm Unterkunft, Verpflegung, das Gefühl von Freiheit und einen Geschmack von Erfolg gibt. So beginnt eine toxische Beziehung.

Fazit

Immer tiefer rutscht Francis in die Machenschaften von Reinhold hinein. Emotionale Wunden treffen auf körperliche: Eine physische und psychische Zermürbung, um das stetige Drehen von Machtpositionen und dem „guten“ Leben innerhalb einer toxischen Beziehung. Aus dem Fisch, der bei Reinhold angebissen hat, wird irgendwann selbst der Köder. Schon völlig am Boden trifft er auf die Prostituierte Mietze (Jella Haase), die immer mehr zu einer wirklichen Stütze für ihn und damit eine bedrohliche Konkurrenz für Reinhold werden soll. Mit ihr tritt die Stimme, die den Film flüsternd von Anfang an begleitet hat, in den schmerzenden Raum hinein, nur um ihn mit noch mehr Leid zu erfüllen. Und es bleibt nach der bildstarken und inhaltsreichen Geschichte die Gewissheit einer bitter-realen Wirklichkeit, ohne dabei einen Dokumentarfilm gesehen zu haben: Die Nächsten werden kommen und die Nächsten werden scheitern. Nicht nur in Berlin am Alexanderplatz.



»Berlin Alexanderplatz« lief im Wettbewerb der Berlinale 2020 sowie auf dem edimotion – Festival für Filmschnitt und Montagekunst und war hier – genau wie The Trouble with being born – für den Preis „Filmstiftung NRW Schnitt Preis Spielfilm“ nominiert.


© Tina Waldeck 2021