[Herr Bachmann und seine Klasse]
Maria Speth | Deutschland 2021
„Nächster Halt: Stadtallendorf“ verkündet die automatische Bandansage im Bus. In der Schule nehmen die Kinder mit müden Gesichtern ihre Plätze ein und um der schlechten Stimmung entgegenzuwirken, erzählt der Lehrer von einem Tisch, der in der Lotterie gewonnen hat: Natürlich interessiert sich jetzt die hinterlistige E-Gitarre für ihn. Er hat doch auch eine Gitarre, spricht er einen Jungen an: Wo stellt er die denn hin? Na, auf einen Ständer. Die Kinder kichern.
Er trifft die Töne
In Berlin hat Dieter Bachmann zunächst Soziologie studiert, bevor er beim Lehramt landete. Dabei fand er Schule als Institution immer befremdlich. Er war der E.T. zwischen den anderen Lehrern, als er in den Beruf gestartet ist: Das er mit seiner unkonventionellen Art nicht hochkant wieder rausgeflogen ist, das wundert den 65-jährigen bis heute.
Immer wieder kann er die Atmosphäre zwischen den Kindern mit Migrationshintergrund auflockern. Viel wird bei ihm über Kreativität oder Musik gelöst. Die deutsche Sprache zu lernen, ist bei den Kindern enorm wichtig: Da ist es nicht wichtig, WAS gelesen wird, sondern DAS gelesen wird. Auch im mündlichen wird oft über das eigentliche Zuhause – der kulturellen Herkunft – gesprochen, über persönliche Probleme oder die anthropogenen Unterschiede. Immer wieder scheint er eine schier unermüdliche Geduld zu haben, um ihnen nicht das Gefühl zu geben, das sie, ihre Geschichten oder Sorgen unwichtig sind, sondern das alle voneinander lernen können. Auf persönlicher Ebene schafft er es so bei den Kindern und ihren Eltern ein Stück weit Familienmitglied, Freund und Vertrauter zu sein.
Fazit
Mit bewundernswerter Geduld und gleichermaßen viel Humor unterrichtet Herr Bachmann seine Klasse von 12 bis 14-Jährigen und gibt ihnen eines der wichtigsten Gefühle: mündige Mitglieder einer sozialen Gruppe zu sein. Bis zum Ende schafft es der Film ebenfalls, eine Vertrautheit zu dem Mann und seiner spielerischen Art aufzubauen, der mit seiner sanften Art alle Höhen und Tiefen gelassen zu tragen scheint. Damit kann er auch für die Gesellschaft zu einem positiven Beispiel von ruhiger und besonnener Integration werden. Interessant besonders auch im Schatten des Ortes Stadtallendorf, welcher im Zweiten Weltkrieg einer der größten Rüstungsstandorte Europas war und die Zwangsarbeiter:innen aus dem Konzentrationslager Buchenwald in der Nähe aus genau jenen Migrationsländern der Kinder heute kamen.
»Herr Bachmann und seine Klasse« lief unter anderem auf der Berlinale 2021 sowie dem internationalen Dokumentarfilmfestival Amsterdam (IDFA) 2021 (in der dänischen Premiere). Die Regisseurin konnte für das unkonventionelle Integrations-Porträt unzählige Preise, wie auch den Deutschen Filmpreis 2021 in der Rubrik Dokumentarfilm gewinnen.
© Tina Waldeck 2021