[I Poli ke i Poli]

Christos Passalis & Syllas Tzoumerkas | Griechenland 2022


Ein Junge nimmt einen Stock und geht alleine in den Wald. Sein Vater läuft in Slow Motion hinter ihm her. Lautlose Schreie und eine (noch) unscharfe Bedrohung. Die Farbaufnahmen wechseln in Graustufen: Noch dunkler liegt der Wald im Jahr 1931. Es blinzeln Sonnenstrahlen durch die Zweige und weichen den flackernden Lichtern von Thessaloniki. Nicht nur zweitgrößte Stadt in Griechenland, sondern auch „Schauplatz“ der Diaspora sephardischer Juden.

„Werden wir irgendwann keine Angst mehr haben?“

Eine Familie geht festlich gekleidet spazieren, einige der Erwachsenen beginnen zu tanzen. „Die Juden von den Einheimischen separieren“, kommt da der scharfe Befehl, und die Schritte der Tanzenden überlagert sich mit den stampfenden Stiefeln. Menschen strecken ihre Arme in die Luft. Eine Frau erzählt aus dem OFF: Die Tante hat im Getto gerade ihr Kind bekommen, hoffentlich kommen beide beim nächsten Deportieren in den gleichen Waggon. Immer wieder schauen die Gesichter von den Protagonisten besorgt in die Kamera, wo der nächste Schrecken auf sie zuzukommen scheint.


Filmbild aus I Poli ke i Poli ©Christos Passalis & Syllas Tzoumerkas | Griechenland 2022
Filmbild aus I Poli ke i Poli ©Christos Passalis & Syllas Tzoumerkas | Griechenland 2022

Fazit

Im Zweiten Weltkrieg wurde 96 Prozent der jüdischen Bevölkerung in Griechenland ermordet. Von den Anfängen, den Verbindungs- und Trennungslinien in der Gesellschaft, über Einzelschicksale bis zu dem bürokratischen Versuch, danach sein Eigentum zurückzubekommen – der Film beschäftigt sich intensiv mit der jüdischen Geschichte von Thessaloniki, wo die beiden Filmemacher auch geboren wurden. Ursprünglich als Museumsinstallation in dieser Stadt geplant, entstand mit diesem Film eine emotionale Stimmungscollage voller unterschiedlicher Stilmittel, die eine verdichtete Atmosphäre von bemerkenswerter Beklemmung erzeugen. 

Mit einem Hauch jüdischen Humors, welcher mit schmerzhaftem Biss die Absurdität aufdeckt, die unbequem da wird, wo das Leben unbequem war und ist, trifft die Gegenwart auf die Vergangenheit. Fast schon beiläufig fallen Fakten wie die Namen von Fredy Hirsch im Getto Theresienstadt oder Max Merten, Verwaltungsoffizier mit dem Beinamen „Schlächter von Griechenland“, welcher nach dem Krieg in West-Berlin von allen Anschuldigungen freigesprochen wurde. Der Film erforscht mit Hingabe den Schmerz – in allen von Menschen erzeugten und belastenden Facetten.



«I Poli ke i Poli» feierte seine Weltpremiere auf der Berlinale 2022 in der Sektion Encounters.


© Tina Waldeck 2022