[ Im Stillen laut ]

Therese Koppe | Deutschland 2019


Künstler*innen zwischen ideologischer Überwachung und Autonomie

Eine Tür öffnet sich und bringt ein wenig Licht in einen dunklen Keller: Eine kleine, ältere Frau mit roten Haaren trägt Styropor mit der jeweiligen Beschriftung ihrer Zugehörigkeit (Türen außen, Fenster innen) die Treppe nach unten. Schnitt auf eine idyllische Landschaft. Möwen. An einem großen Tisch sitzt eine zweite, weißhaarige Frau. Sie hält Bilder in den Händen, sorgsam ausgeschnitten, aufgeklebt und in Klarsichthüllen verpackt. Darauf abgebildet: Menschen an einer langen Tafel beim Essen. Liebevoller Blick. Perspektive auf sie und die Wand hinter ihr. Ein Klavier und Kunst an der Wand. Lange Einstellung, in der man sie in ihrer Freude einfach nur beobachten kann. Noch ist kein Wort gefallen.


Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe
Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe

Erika Stürmer-Alex, liest die rothaarige Frau ihren Namen vor, als sie sich neben Christine Müller-Stosch, genannt Tine, setzt, und schaut dabei auf einen Brief, in dem einige Passagen geschwärzt sind. Künstlerin der DDR. Westliche Kunstrichtungen, die der Objekt- bzw. Aktionskunst zugeordnet werden. Sie unterhält lesbische Verbindung zu einer Lektorin, – sie unterbricht und zeigt neckisch zu der weißhaarigen Frau an ihrer Seite, welche schmunzelt. Ein Herr fuhr auf den Hof und sah circa zehn Personen an einer Kaffeetafel und alle waren völlig nackt. „Kann doch gar nicht sein, es waren nie alle gleichzeitig nackt.“, wundert sich ihre Zuhörerin. Fröhliches Lachen. Er ging zumindest ins Haus und traf die Stürmer-Alex ebenfalls nackt vor und trug ihr so sein Anliegen vor. Das Zimmer mit den vielen Betten ist bestimmt das Liebesnest. Kann doch gar nichts anders sein … Dabei versuchten sie doch nur damals zu arbeiten, zu malen. Schwarz-weiße Bilder in Großaufnahmen. Bilder, auf denen Stoffe zum Trocknen über eine Wäscheleine gehängt werden. Frauen, die Modell stehen.

Diese negative ideologische Entwicklung von Erika Stürmer-Alex führte zumindest dazu, dass die Leitung der Hochschule ihr nach Beendigung des Studiums in Berlin die Aufenthaltsgenehmigung entzog. Das wusste sie gar nicht, dass das direkt die Leitung ihrer Schule veranlasst hatte, schüttelt Erika darüber den Kopf und liest die Passage ungläubig noch einmal. Die Verbindung zu den Studenten der Hochschule sollte erschwert werden: Zersetzung der Gruppierung und Isolierung der Verdächtigen. Die Stürmer-Alex ist aber nach wie vor Vorsitzende für Malerei im Bezirksverband der bildenden Künstler der DDR. Auch bekam sie „entgegen unseren Bestrebungen“ ihr Grundstück.

Das Grundstück – lange hatten sie danach gesucht. Nach einem Platz, welcher für das Leben einer Malerin und Bildhauerin ausreichen sollte. Monatelang sind sie durch die Gegend gefahren, um ein freiliegendes Gehöft zu finden. Wo ist etwas leer, wo hängt keine Wäsche oder gackern keine Hühner? Die verlassenen und stehen gebliebene Mauern einer heruntergekommenen Scheune. Mit dem Auftrag für eine neue Plastik konnte sie dieses dann für 10.000 DDR-Mark kaufen. Nun flattert ihre farbenfrohe Wäsche zwischen den bunten Skulpturen in dem großen Garten. Um den Stillstand in der Kulturpolitik der DDR und der banalen Spießigkeit etwas entgegenzusetzen, schufen sie sich hier einen Freiraum: Malen. Fotosessions. Performances und viele Gespräche. Sie bauen sich eine große Werkstatt auf. Die Freude, wenn man keine Rücksicht auf irgendwelche Nachbarn nehmen muss.


Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe
Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe
Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe
Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe

Auch ihre Lebensgefährtin liest aus ihren Tagebüchern vor. Über viele Umwege kam sie zu einem Studium der Theologie und zu einer Nische in der evangelischen Verlagsanstalt. Alle Manuskripte mussten hier der Zensur vorgelegt werden. Auf keinen Fall sollten irgendwelche Missstände oder gar negative Emotionen kommuniziert werden. 1990 hat sie dann das Gefühl, das die Gehälter dort eventuell nicht mehr lange gezahlt werden können, 1992 geht der Verlag unter. Wozu sind sie jetzt nochmal frei geworden? Sorge um die Rente. Gut, das sie kreativ leben können! Sie fangen an, Kurse für arbeitslose Frauen aus Ost und West zu geben. Unsicherheiten überall. Auch für ihr Grundstück: Von der Familie, die dort vorher wohnte, wird ein Antrag auf Rückübertragung gestellt. Viele Anwälte sind zehn Jahre damit beschäftigt. Und wieder Sorgen vor dem, was kommen könnte.

Wer war eigentlich damals privilegiert und warum? Wer war wirklich frei? Sehnsüchtig schaut der Hund im Zwischenschnitt auf die ihm verschlossene Tür. „Warst du nicht auch privilegiert, Tine, du hättest auch raus gekonnt!“ „Ja, aber ich wollte doch drinnen bleiben! Hier, bei dir.“ So spielt das charmante Künstlerporträt, das beim diesjährigen FILMZ – Festival des deutschen Kinos lief, wunderbar subtil immer wieder mit den Themen Zuhause und Fremde, Ost und West, Verständnis und Unverständnis sowie inneren und äußeren Bedürfnissen – und hinterfragt dabei in ruhigen und liebevollen Tönen, was eigentlich wichtig im Leben ist.


Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe
Filmbild aus Im Stillen laut ©Therese Koppe

© Tina Waldeck 2020