[Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste]

Margarethe von Trotta | Österreich, Luxemburg, Schweiz, Deutschland 2023


Die junge Frau läuft im blauen Morgenrock durch einen dunklen Flur zu einem Telefon. Wann kommst du zurück? Es ist nicht zu sehen, wie sie fällt, nur ein hörbarer Aufprall aus dem OFF und sie schreckt in einem weißen Zimmer hoch. Im Krankenhaus liest sie aus ihrem Buch: Eine Bulldogge, ein Mord. Der Arzt setzt sich zu ihr und fragt nach dem Namen des Hundes ... Max.


Filmbild aus Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste © Margarethe von Trotta | Österreich, Luxemburg, Schweiz, Deutschland 2023
Filmbild aus Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste © Margarethe von Trotta | Österreich, Luxemburg, Schweiz, Deutschland 2023

Das Wagnis, unglücklich zu werden

Von nun an schlägt die filmische Geschichte zwei Stränge ein: einmal geht es in die Wüste – in die Verarbeitung – und parallel dazu läuft chronologisch die Begegnung zu Max, – Max Frisch. Er findet es gut, dass Frauen literarisch für sich selbst sprechen, erklärt er bei ihrem ersten Aufeinandertreffen. Es wäre schön, wenn sie zu ihm nach Zürich käme, – auch ohne Gedichte. Danach denkt er jeden Tag an sie – wie soll er so arbeiten? Auch sie hat sich in den Schweizer Autor verliebt, erzählt sie in Italien. Ach, dieser Biedermann … aus der anfänglich zarten Annäherung wird schnell eine Verdrehung der Machtposition, die in Aggressionen, Wut und Eifersucht mündet. Sie bleibt die große Bachmann, Max Frisch nur der Schriftsteller an ihrer Seite. Er wirft ihr vor, sich wie ein Star zu benehmen – sie fühlt sich unverstanden.

„Im Grunde ist jede:r alleine“

In der dunklen Wohnung legt sie die Hand vors Gesicht, weint und verbrennt sein blaues Notizbuch. Ein Eingriff in das Intimste, was ein literarischer Mensch empfinden kann. Die Angst von ihr, benutzt und bloßgestellt zu werden – sie will ihm die emotionale Macht entziehen. In der Wüste – in der Zeit danach – empfindet sie eine ständige Gefahr und fühlt ihr Elend wie eine Auszeichnung. Hier könnte sie sich mit der eigenen inneren Leere auseinandersetzen: Sie nach außen tragen und in ihr Schutz suchen – doch der Schwerpunkt verschiebt sich in sexueller Bestätigung von jungen Männern und Verdrängung.



FAZIT

Die Wahrheit ist den Menschen zumutbar: nur welche Wahrheit, mit welchem Blick und welchem Verständnis? Wie würde der Film bewertet werden, wenn es nicht eine Verfilmung der beiden realen Personen wäre, die immer mitgedacht, mit-beobachtet werden? Ingeborg Bachmann in einer behütenden Rolle, um unantastbar im wahren Ich zu bleiben, mit Vicky Krieps gespielt, in einer Inszenierung, die genauso passt, wie nicht passt. Jede Andeutung von Beziehung lässt den Charakter umformen wie ein Pflänzchen, das sich nach unterschiedlichen Sonnen ausrichtet. Ein Ein-, Aus- und Umtopfen bis hin in die Symbolik der Wüste: Eigentlich schon vertrocknet und doch in einem letzten Gefühl der Freiheit aufblühend. Die weibliche Fata Morgana des Glücks im Spiel mit jenem Sand, der noch nicht im Winde verweht ist. Zurück bleibt ein Werk über eine schwer zu durchschauenden Schriftstellerin deutscher Nachkriegsliteratur, – dem etwas mehr Innerlichkeit ebenfalls zu einer höheren Lebensdauer verholfen hätte.


«Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste» lief auf der Berlinale 2023 im Wettbewerb.


© Tina Waldeck 2023