[Lieber Thomas]

Andreas Kleinert | Deutschland 2021


Der unangepasste sowie dickköpfige Lyriker, Dramatiker und Filmemacher Thomas Brasch (Albrecht Schuch) wurde in England als Sohn jüdischer Emigranten geboren und wuchs später in der DDR auf. Schon in den ersten Sekunden des Films schreiben sich sensible und doch energische Worte auf eine körperliche, weibliche Verortung ein, und geben damit die zwei wichtigsten Aspekte des Biopics vor.

„Ein Stück auf den Leib schreiben“

Doch zunächst die Bilder einer vergangenen Gegenwart: Raue Töne in der Militärakademie in Ostberlin, in die der Vater (Jörg Schüttauf) seinen Jungen 1966 schickt, damit er „gute“ Erfahrungen sammeln kann. Doch Thomas möchte immer noch Schriftsteller werden und rebelliert auch weiterhin: Nicht nur während des Journalismus-Studiums, – auch zu Hause bekämpft er die Erwartungen des Vaters, welcher gut in das gesellschaftliche System hinein integriert ist. Aus dem Studium wird er schließlich von den Lehrkräften hinausgeworfen, – von seinem Vater aus der Wohnung auch. 


Filmbild aus Lieber Thomas ©Andreas Kleinert | Deutschland 2021
Filmbild aus Lieber Thomas ©Andreas Kleinert | Deutschland 2021

Erwartungshaltungen nicht erfüllend, soll eine Bude mit leeren Betonwänden zu seinem neuen Lebensmittelpunkt werden. Freiheit suchend, Freiheit genießend und Freiheit für alle fordernd: Nackt tobt er mit seiner Freundin im Wasser an der Staatsgrenze herum, um erneut von Ordnungskräften zurechtgewiesen zu werden. Heimlich verteilen sie politisch motivierte Flyer. Als seine Eltern davon erfahren, denunziert ihn der Vater: Sein Sohn, ein Staatsfeind? In einem Maschinenraum muss Thomas seine Strafe verbüßen – und kämpft sich, wenn auch zermürbt, angeschlagen und verletzt hindurch. Wieder „draußen“ trifft er in einer Bar auf eine Berliner Göre (Jella Haase), die scherzt: Er könnte doch auch mal ein Theaterstück für sie schreiben. Wie im Wahn durchläuft er nun kreative Phasen mit ihr und mit anderen, – um am nächsten Tag verlottert auf Parkbänken aufzuwachen. Ein Leben wie ein einziger Rausch, immer weiter, immer höher, immer freier – und doch stets gefangen.


Filmbild aus Lieber Thomas ©Andreas Kleinert | Deutschland 2021
Filmbild aus Lieber Thomas ©Andreas Kleinert | Deutschland 2021

Fazit

Sei es das einengende Kleinstadt-Flair der Familie, der Duft des mondänen Nachtlebens in Berlin oder auch die zu Kopf steigende Größe von New York. Sei es das Verhältnis zwischen Vater und Sohn, die Abgründe im Drogenrausch sowie die Frauen, die ihn formten. Alle Bereiche des Lebens erleben, alles erfahren: Mit dem Geld aus dem Kapitalismus arbeiten und doch das System mit großen Worten kritisieren, von stetigen Selbstzweifeln verfolgt, die zwischen den Höhenflügen innerlich zerfressen. 

Regisseur Andreas Kleinert und Drehbuchautor Thomas Wendrich wollten für den Film keine reine Chronologie der Lebensstadien, denn dies hätte nicht angemessen dieses angefüllte Leben abbilden können: So wird sich auf die extremen Wendepunkte konzentriert, von denen es immer noch ausreichend gibt. Beide bedauern, dass in der heutigen Zeit Figuren mit solchen Höhen und Tiefen fehlen: Nach Heinrich Böll oder Günter Grass gibt es ihrer Ansicht nach wenige Stimmen, die so ein Gewicht haben und gleichzeitig aus den genormten Lebensentwürfen ausbrechen. So soll ihr Film im kreativen Raum „eine Ermunterung zu einer Öffnung“ sein.

Ihr Blick bleibt dabei zwar stark bei einer männlichen Dominanz von Thomas Brasch haften, – welcher sich das nimmt, was er haben möchte –, aber er wird dadurch in seiner Darstellung nie ganz zu einem Antihelden. Zu sympathisch, auch in seinen Abgründen: Das erklärt in der Realität seine vielen Beziehungen, die hinterher nie schlecht über ihn gesprochen haben sollen. Leider bleiben die Frauen, – auch wenn sie eine treibende Kraft sind und besonders Katharina Thalbach viel (Film)Raum einnimmt –, nur interessante Randfiguren in der Motivation eines gegen Ende doch ironischerweise fast amerikanisiert inszenierten Künstlerdaseins.



»Lieber Thomas« lief sowohl im Programm des Jüdischen Filmfestival Berlin | Brandenburg als auch bei den Jüdischen Kulturwochen in Frankfurt am Main und wurde von der Autorin bei der Vorpremiere zusätzlich in den Arthouse Kinos Frankfurt, in Anwesenheit von Regisseur Andreas Kleinert und Drehbuchautor Thomas Wendrich, gesichtet.


© Tina Waldeck 2021