[ Love, it was not ]
Maya Sarfaty | Israel, Austria 2020
Wir sind alle menschlich, wissen sie?
Aus dem Vorspann mit langsamer und nachdenklicher Musik zoomt die Kamera hektisch hinaus. Kennen sie dieses Bild? Ja, antwortet ein Mann im blauen T-Shirt und lächelt liebevoll. Es ist seine Mutter. Auch Frauen bekommen es gereicht: Freundinnen von ihr ebenso wie die Tochter. Das ist ihre Tante, sagt eine weitere Frau: Wie pausbäckig sie da war, mit hochgesteckter Frisur und elegantem Gürtel. Als sie dieses Foto zum ersten Mal sah, dachte sie, es ist eine Fotomontage. Wie konnte man in einem Konzentrationslager so glücklich aussehen?
Im März 1942 wurde Helena Zitron mit 1000 anderen Mädchen aus der ganzen Slowakei nach Auschwitz gebracht. Die Geräusche von Zügen spielen im Hintergrund, als die Kamera an realen Nadelbaum-Wäldern entlang fährt und in ausgeschnittenen Papier-Collagen mit Original-Fotografien aus der Zeit münden. Nackt, komplett rasiert und beschämt laufen die jungen Frauen an den lachenden Deutschen vorbei. Viele der Baracken und auch die Krematorien müssen sie helfen, mit aufzubauen. Später kam Helena in das Aufbewahrungskommando, das man „Kanada“ nannte: Die Koffer der Neu-Ankommenden mussten hier ausgepackt und sortiert werden. Es war noch eines der besseren Kommandos im Lager, denn manchmal fanden sie in den Koffern etwas zu essen.
Er sah aus wie ein ganz normaler Mensch
Früher war dem jungen Mädchen oft gesagt worden, dass sie ein großes Talent für Schauspiel und Gesang hat und es weit bringen kann: Nun wird sie im Lager ausgewählt, als die Soldaten für die Geburtstagsfeier eines SS-Offiziers eine Frau suchen, die zur Unterhaltung singen und tanzen kann und sie überlegt ernsthaft, ob sterben im Strafkommando wegen Befehlsverweigerung nicht besser wäre ... Doch anstatt dessen singt sie „Liebe, war es nicht“: Das Titellied des Filmes, das noch mehr als einmal angestimmt werden soll. Nach ihrem Auftritt kommt einer der Soldaten auf sie zu und bittet sie höflich, ob sie das Lied noch einmal für ihn singen kann. Das erste Mal, das sie im Lager keinen Befehlston hört. Es ist Franz Wunsch, der sie fragt und der später das Foto von ihr machen und es wie einen Schatz bewahren wird.
Immer wieder werden die Freundinnen, die mit ihr im Lager waren, als Zeitzeugen in den Interviews zwischen die Collagen geschnitten. Schnell spricht es sich bei den Gefangenen herum, dass sie Kontakte zu einem der Offiziere hat. Er war gut zu ihr und ihren Freundinnen, die mit ihr gearbeitet haben, – in den anderen Lagern dagegen war er ein Sadist. In den Archivaufnahmen wird er später auch selbst zu Wort kommen: 2003 erzählt er vor Kamera, dass es da halt die Rassengesetze gegeben habe. Und weil er mit einer Jüdin befreundet war, hätte auch ihm der Tod gedroht als SS-Offizier: Aber sie war so ein schönes Mädchen. Noch nie zuvor im Leben hat er so eine Liebe empfunden wie bei ihr. Und sie war geschmeichelt, dass er ihr Aufmerksamkeit schenkte und sich um sie kümmerte. Die Frauen in den Interviewsituationen sind zwiegespalten: War er wirklich ihre erste Liebe? Kann es überhaupt Liebe sein, wenn das Überleben davon abhängt? Es wurde im Lager unter den Mädchen viel gelästert und neidisch auf sie geblickt. Auch unter den Soldaten spricht es sich herum, dass er eine jüdische Hure gefunden hat. Sie wird verbal angegriffen, mit Koffern beworfen und geschlagen. Schließlich meldet es jemand an die oberen Stellen, sie wird abgeführt und in eine Zelle gesteckt. Doch mit seiner Hilfe überlebt sie auch das.
Fazit
Mit den Jahren spitzen sich die Ereignisse immer weiter zu, besonders als auch die Schwester von Helena mit ihrer Familie in das KZ nach Auschwitz kommt und deren Schicksal von nun an eng und tragisch an Helena und Franz gebunden sein wird. Auch hier geben die originalen Foto-Collagen von den Personen einen tiefen Einblick in die schicksalsträchtigen, stark prägenden und auch für den Zuschauer nur schwer verdaulichen Begebenheiten. Die Regisseurin lässt den Film aber am Ende nicht mit der Befreiung aus Auschwitz enden: 1972 stand Franz Wunsch in Wien für seine Naziverbrechen vor Gericht und Helena war als Zeugin geladen. Würde sie einen SS-Verbrecher decken? In Israel, wo sie danach lebte, hätte niemand erfahren dürfen, dass sie einst die Geliebte eines SS-Offiziers gewesen ist. So war sie auch noch Jahre später noch tief emotional gespalten – auch mit der Frage, wie viel man einem Menschen schuldig ist, der das eigene Leben gerettet und doch im Kollektiv so viel Leid überhaupt erst beschworen hat.
»Love it was not« lief im Online-Programm des International Documentary Filmfestival Amsterdam 2020 und konnte hier seine Internationale Premiere feiern.
© Tina Waldeck 2020