[Mary Bauermeister – eins und eins ist drei]
Carmen Belaschk | Deutschland 2020
Sanfte Wellen, die über Kieselsteine streicheln. Eine ältere Dame, Jahrgang 1934, schlendert in weißem Stoff gekleidet den Strand entlang und klopft prüfend auf die Steine, bevor sie Ausgewählte in einen Jutebeutel gleiten lässt. Schnitt auf Filmaufnahmen, wo eine deutlich jüngere Mary Bauermeister simultan die gleichen Abläufe inszeniert: Vergangenheit wird zur ritualisierten Gegenwart.
Szenenwechsel nach Rösrath, in die Nähe von Köln, wo die Künstlerin heute lebt. Skulpturen aus Naturmaterialien in einem großen Garten werden von der Kamera detailreich eingefangen: Verschlungen, verdreht und oft reflektierend. Das Spiel mit unterschiedlichen Variationen von Sensibilität. Wenn sie früher als Kind durcheinander war, dann hat sie Ordnung geschaffen, erzählt sie. Als ob das Arrangement der Dinge irgendetwas an ihrem eigenen Zustand verändern würde.
Früh hat sie sich ein Atelier gewünscht, damit sie mit anderen experimentieren und Erfahrungen austauschen konnte, nachdem ihre Kindheit von Kriegserfahrungen, Entbehrungen und Hunger geprägt waren. So trafen sich bald alle Arten von Künstler:innen, Wissenschaftler:innen sowie Philosoph:innen bei ihr und alle wollten die geregelten Dinge der Gesellschaft „über den Haufen schmeißen“, etwas in Bewegung bringen und verändern. Alte Film- und Fotofragmente laufen durch das Bild, bevor die wilden Zeiten mit den schnellen Schnitten wieder einem ruhigeren Gang weicht.
Dazwischen lagen 10 Jahre Esoterik, Ackerbau und Viehzucht, sie hat New York als zweite Heimat gefunden, ist für eine turbulente Beziehung mit Karlheinz Stockhausen wieder nach Deutschland zurück, hat vier Kindern ein Leben geschenkt und alles scheint sich ganz natürlich in ihr Leben einzufügen. Da passt es ganz zu ihrem eigensinnigen Charakter, dass sie dem gängigen Ratschlag, als Frau keine Kinder zu bekommen, um in der Kunst erfolgreich zu bleiben, damals kritisch gegenüber stand. Ihr ältester Sohn, der heute ihr Manager ist, erzählt, wie er damals Angst hatte, von seinem Zimmer zur Toilette zu gehen, denn in dem großen Haus waren immer fremde Menschen und es gab wenig Privatsphäre. Seine Mutter ging auch hier zwischen den gesellschaftlichen Normen, ihren eigenen freien Weg.
Fazit
Der Film besticht besonders durch seine ruhigen und ästhetischen Zusammenstellungen, die sich fließend in das Werk von Mary Bauermeister integrieren und dieses deutlich unterstützen. Aus dem sommerlichen Garten wird erst ein herbstlicher, dann ein winterlicher: In dem doch nur recht kurzem Verlauf von einem Jahr erschafft die emsige alte Dame gleich mehrere neue Ausstellungen, restauriert Werke, die der Vergänglichkeit anheimzufallen drohen, und reist zu ihrer Galerie nach New York. Wäre sie nicht Stockhausen gefolgt, sondern dortgeblieben, wäre sie heute bekannter, da sind sich die Sammler sicher. Ihr Aufstieg lag genau im langsamen Aufschwung von Künstlerinnen. Die Frauen haben sich ihre Hosen verdient, erklärt sie fast beiläufig. Jetzt ist es an der Zeit, dass sich die Männer ihre Röcke verdienen. Eine gelungene Produktion zum Erhalt der Gedanken von Mary Bauermeister innerhalb einer bewegten künstlerischen Epoche.
»Mary Bauermeister – eins und eins ist drei« lief als Weltpremiere beim DOK.fest München 2021 @home in Kooperation mit dem Frankfurter Kunstverein, dem Kasseler Kunstverein sowie dem museum FLUXUS+ und gewährt offene und menschliche Einblicke in die weitreichende Fluxus-Bewegung.
© Tina Waldeck 2021