[It is not over yet (Mitgefühl)]
Louise Detlefsen | Dänemark 2021
Ein unscharfes Wollknäuel. Das Klappern von Stricknadeln wird von einem schweren Atmen begleitet. Die Kamera fährt zu den gepflegten Händen einer alten Dame. „Meine Finger werden mit der Zeit müde“, sagt sie leise und spricht noch leiser weiter: Die Frau kann das nicht mehr so gut, aber ansonsten ist Ihre Mutter noch fit für ihr Alter! Wie alt ist denn ihre Mutter, möchte die Pflegerin wissen. Na, genauso alt wie sie selbst ist. Gedankliche Verwirrungen, die in Tränen münden.
Das Leben in einer eigenen Verständnisblase
Die Dokumentation zeigt das Pflegeheim Dagmarsminde in der Nähe von Gilleleje in Dänemark. Meist um die 12 Senioren leben hier in einer dauerhaften Wohngemeinschaft zusammen: Alle um die 90 Jahre alt und mehr oder weniger schwer von Demenz betroffen. Auch der Vater von Leiterin und Pflegekraft Eiby erkrankte an Demenz und kam in ein Heim. Unwürdige Zustände sah sie dort: Er saß oft alleine in seinem Zimmer, hatte keine Beschäftigung und wurde mit seinem Essen alleine gelassen und das, „obwohl er am Ende nicht einmal mehr wusste, wie essen ging“. Am Ende starb er an schwerer Vernachlässigung und sie beschloss da, mit 17 Jahren, aktiv etwas an diesen Zuständen zu ändern. Sieben Jahre lang legte sie Geld zurück, um sich eine alte Tischlerei zu kaufen, die sie umbaute: Schnitt auf den Aufenthaltsraum, die langen Tische mit frischen Blumen. Es ist kein Zuhause für die Reichen, betont sie. Die Menschen, die hier wohnen, bekommen auch nur ihre staatliche Rente. Aber im Garten gibt es Hühner, Ziegen und Kaninchen: Beschäftigungstherapie anstatt mit Medikamenten „ruhig stellen“ und ignorieren. Ein würdevolles Sterben.
Fazit
Der Film ist stetig nah dabei und hält doch respektvoll Distanz zu den bodenständigen Themen wie Wärme, Freude, Sorgen, Schmerz und Trauer. Die Erleichterung der Angehörigen, die Elternteile in guter und liebevoller Betreuung zu wissen. Die Augenringe der Pflegekräfte um Eiby und ihr Ärzteteam, die stetig achtsam sein müssen. Viele Berührungen werden gezeigt, auch beim abendlichen Fernsehprogramm: Umarmungen. Hände, die gehalten oder gestreichelt werden, damit kein Gefühl bei den älteren Menschen aufkommt, „abgeschoben geworden“, alleine oder überfordert mit der Situation zu sein. Sicherheit geben, kontrollieren und manchmal auch schimpfen. In allen Lebenslagen füreinander da sein, damit sie friedlich einschlafen können. Und das mit einem, – so vermittelt es der Film, – guten Gefühl.
»Mitgefühl« lief auf dem Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest 2021.
© Tina Waldeck 2021