[Nelly & Nadine]
Magnus Gertten | Schweden, Belgien, Norwegen 2022
Frauen werden aus einem Konzentrationslager gerettet: Erwartung, Zuversicht und Hoffnung liegen in den alten Filmaufnahmen in Schwarz-Weiß. Wer sind sie und was denken sie in diesem Moment ihrer Befreiung?
„Warte auf mich. Ich muss dich wiedersehen.“
Von den alten Aufnahmen in die Gegenwart: Ein Kätzchen schleicht in Frankreich über eine Mauer, während eine Frau im mittleren Alte in der harmonischen Idylle einen alten Schuhkarton mit Akten, Fotos und vergilbten Zetteln öffnet: die Tagebücher der Großmutter. Nie haben sie darüber gesprochen, denn solange sie nicht darüber sprachen, war es, als ob diese einstige Realität nie existiert hätte. Nelly Mousset-Vos war eine Sängerin, die während eines Konzertes im Zweiten Weltkrieg verhaftet und ins KZ Ravensbrück gebracht worden war.
Weihnachten 1944 steht dort Nadine Hwang vor ihr, die 1933 von China in die Freiheit nach Paris geflohen, wo sie zu einem Teil des literarischen Salons um die lesbische Schriftstellerin Natalie Clifford Barney wurde – sowie deren Sekretärin, Chauffeurin und Liebhaberin. Im Konzentrationslager scheinen sich Nelly und Nadine gegenseitig Ruhe, Sicherheit und Stabilität zu geben. Solange, bis Nelly alleine nach Mauthausen „verlegt“ wird: In die “Antichamber of hell“, wo die Luft nach Typhus und Leichen riecht. Ein altes Foto: Frauen steigen die lange Treppe hinauf: 186 Stufen der Ungewissheit. Denn niemand weiß, ob sie wieder in das Leben zurückkehren werden.
Fazit
Eine verschlungene Liebe voller feiner Verflechtungen – vor dem Zweiten Weltkrieg, währenddessen und danach dokumentiert. Oft etwas verheddert in der Darstellung, aber immer faszinierend, zeigt der Film zwei Schicksale verbunden in der feinsinnigen Freude am Leben und dem künstlerischen Genuss, wo sie zwischen der gesellschaftlichen Folter und Qual auf allen zeitgenössischen Dokumenten stets würdevoll erscheinen.
In die existenzialistischen Szenen eingearbeitet, glättet die heile Welt der nachfolgenden Generationen in ihrer liebenswerten Unkenntnis. Die einstige Sexualität, die allen Verhängnissen trotzte und liebte, wenn auch zu Recht melancholisch verstimmt, formt sich in einem verständnisvollen, zeitgemäßen Gewand. So verwundert es nicht, wenn die 15-Jährige der nachfolgenden Generation das Leben der beiden Frauen überraschend modern findet, in den getarnten und doch innigen Arrangements, gut dokumentiert nicht nur in den Texten, sondern später auch in Filmaufnahmen. Wie erfreulich, dass eine zarte Realität durch das Schweigen hindurch gegangen ist.
«Nelly & Nadine» lief auf der Berlinale 2022 in der Sektion Panorama und konnte hier den Teddy Award – der LGBTIQ-Filmpreis aus dem gesamten Programm der Berlinale – für sich gewinnen.
© Tina Waldeck 2022