[ The Castle ]
Lina Lužytė | Irland, Litauen 2019
Jeder Kühlschrank ist voller Fisch
Eine Kamera fährt während des Vorspanns durch eine Stadt hindurch und gibt so eine Verortung für den Zuschauer. Die nächste Haltestelle: Dublin Port, Irland. Ein Mädchen hüpft aufgeregt auf ihrem Platz im Bus herum, während die Mutter über die Euphorie ihrer Tochter lächelt. Die beiden reisen in das litauische Gemeindezentrum von Irland und treten hier auf: Mutter Jolanta am Klavier und Tochter Monika singend am Mikrofon. Möwengeschrei wird mit ihrer Musikeinlage überlagert und zieht den Betrachter aus der künstlerischen Welt wieder zurück in die Realität. Eine ältere Frau bekommt ihre Tabletten; sie ist müde und geht lustlos in ihr Zimmer. Eine beginnende Demenz, die sich im Laufe des Films immer weiter ausprägen wird. Traurig sieht Jolanta ihrer Mutter nach und ermahnt verärgert ihre Tochter, die hinter dem Rücken ihrer Oma einen Vogel zeigt. Unterschiedliche Bedürfnisse der unterschiedlichen Generationen: Monika will sich nicht mit dieser traurigen und trüben Realität auseinandersetzen, sondern ihre Träume erfüllen.
Ihr nächster Auftritt findet auf einer Beerdigung statt. Sehnsüchtig schaut das Mädchen danach hinter einer Gruppe Blasmusiker her, die mit einem Sarg zu einem der Gräber gehen. Diese werden wenigstens für ihre Musik bezahlt, im Gegensatz zu ihnen – dabei könnten sie das Geld so gut gebrauchen ... Da dreht sich aus der Trauergesellschaft ein älterer Mann zu ihnen herum und kommt noch einmal zurück. Er hat sie vorhin singen gehört, fand sie großartig und bietet den beiden ein Konzert in seinem Schloss an. Wieder ist das Mädchen aufgeregt, denn wieder scheint die Erfüllung ihrer Träume ganz nah. Doch ihre Mutter ist müde, überlastet und genervt: Sie muss die Miete zahlen, schuftet tagsüber in einer Fischfabrik und pflegt daneben noch die Oma. Den Traum einer Musikkarriere hat sie schon längst aufgegeben – und wozu kostenlose Auftritte für einen schönen Moment, der am Ende doch nichts bringt? Jolanta verkauft das E-Piano an das litauische Gemeindezentrum, um das Thema endgültig zu beerdigen. Empört will sich die Tochter dagegen auflehnen: Doch woher soll sie nun die geforderte Leihgebühr für das E-Piano hernehmen, wo doch sowieso kein Geld da ist?
Fazit
Der Film verknüpft wunderbar feine Analogien und verflechtet sie zu einem Fischernetz, in dem sich die Figuren in eine bestimmte Richtung entwickeln können bzw. entwickeln müssen. Dabei symbolisieren die drei Frauen in ihrer Ähnlichkeit die unterschiedlichen Stufen einer Realität: Die junge, pubertierende Monika als Blick in eine Zukunft, in der noch alle Wege offen zu sein scheinen, die pragmatische Jolanta als eine Gegenwart, welche vom Alltag eingeholt wurde, und die Oma als eine Vergangenheit, die immer mehr in ihrer (Traum)Welt verschwindet. Alle verbindet dabei eine Art von Freiheit, die sie in der Musik suchen oder gesucht haben. Und am Ende bleibt natürlich, ganz im Sinne von Franz Kafka, die Frage offen, ob denn das Schloss als Ziel erreicht und eine Erfüllung bringen wird.
The Castle (Pilis) lief im Online-Programm des FilmFestivals Cottbus – Festival des osteuropäischen Films, 2020.
© Tina Waldeck 2020