[ Weiyena – Ein Heimatfilm ]
Weina Zhao, Judith Benedikt | Österreich 2020
In der Küche kocht eine Familie an einem Gericht mit dem chinesischen Namen »Glückliche Familie«. Wenn diese nur nicht aus so vielen fragmentierten Teilen bestehen würde! Die junge Weina, Erzählerin und Regisseurin, ist zwischen zwei Welten aufgewachsen. Ihre Eltern sind mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft aus China fort und nach Wien gezogen. Sie haben ihre Tochter sogar nach der Stadt benannt. Doch den Vater zieht es bald zurück nach China. Er wird sich auf die Mülltrennung nach dem europäischen Vorbild spezialisieren und unzählige Male umziehen. So fühlt es sich für seine Tochter nur noch in den Sommerferien wie eine Familie an: wenn sie von Wien nach Peking fahren, um ihn zu besuchen. Auf Chinesisch kann man Familie nicht so einfach von der Heimat trennen, denn beides steckt in einem Wort. Ein Ort und ein Zustand zugleich. Egal an welchem Ort sie sich mit ihm trafen, solange sie zu dritt waren, fühlte sich Weina zu Hause. Aber mit den Jahren wurden die gemeinsamen Momente immer seltener und mit dem räumlichen Abstand die Entfremdung zwischen ihm und seiner Familie immer größer. Wenn die Tochter ihn heute besuchen kommt, dann wohnt sie nicht mehr bei ihm, sondern in einem Hotel namens „Wie zu Hause“. Trotz der Ironie darin macht es sie manchmal traurig. Was verbindet sie nun eigentlich noch mit China?
Sie stöbert in der Vergangenheit ihrer Familie herum. Sowohl die Großeltern mütterlicherseits als auch die Großeltern väterlicherseits sind in China verwurzelt. Die Eltern ihres Vaters sind beide auf dem Land aufgewachsen und waren sehr arm. Nur ein kleines Bruchstück ihrer Geschichte: Die Oma war erst acht Jahre alt, als die Japaner ihr Heimatdorf besetzten und die Menschen dort zwangen, ihre Ernte zu vernichten. Die ältere Schwester wurde geschlagen, viele andere verschleppt und zu „Blumenmädchen“ gemacht, das hieß: vergewaltigt. Wenn das Leben ihrer Oma ein Spielfilm gewesen wäre, hätte Weina ihn ausgemacht, weil sie ihn nicht ertragen hätte. Mit Anfang 20 hatte diese schon zwei Kriege, den Tod ihrer Eltern und das Sterben vieler vertrauter Menschen miterlebt. Und erstaunt erzählt Weina aus dem OFF, dass sie das wirkliche Ausmaß dieser Gewalt erst wirklich versteht, als sie die chinesischen Erzählungen ihrer Oma ins Deutsche übersetzt. Ist Deutsch damit die Sprache, in der sie fühlt? Hat sie in der chinesischen Sprache eine höhere Distanz?
Die Geschichte der Großeltern mütterlicherseits erscheint dagegen wie aus einem ganz anderen Film: Die beiden lernten sich 1930 während einer Theater-Probe kennen. Er ist in Shanghai zur Universität gegangen, hat geraucht und fuhr sogar ein Auto. Da er aber angeblich Kontakte zu Spitzeln gehabt haben soll, wurden Untersuchungen gegen ihn und seiner Familie eingeleitet: 1966 wurde erst er eingesperrt; 1967 folgte seine Frau. Zu der Zeit waren ihre beiden Töchter gerade einmal 12 und 14 Jahre alt. Die jüngere: Weinas Mama. Sie läuft in der Gegenwart an einem Steg entlang und Fotos aus der Vergangenheit werden in die Landschaften hinein montiert. Schon fast 50 Jahre ist das nun schon her. An sich sind die beiden gut alleine zurechtgekommen: Aber als die anderen Kinder an dem einen Tag von ihren Eltern abgeholt wurden und sie alleine nach Hause gehen musste, wo nur ein eiskaltes Haus auf sie wartete, da hat sie lange geweint ... Bei den Großeltern wie auch bei den Eltern schwingen so auch immer in allen Gesprächen subtil der Verlust einer Familie und das Gefühl eines vereinsamten Zuhauses in den Gesprächen mit.
Fazit
Durch das Filmemachen und der Position als Regisseurin schafft es Weina, aus ihrer Rolle als Familienmitglied auszubrechen und viel intimere Fragen zu stellen, als es ihr allein als Tochter oder Enkelin durch die Erziehung möglich gewesen wäre. Auch wenn sie sich selbst dazwischen fragt, ob sie das alles eigentlich wissen will und ob es im Sinne der Familie überhaupt gut ist, die ganzen Grausamkeiten zu kennen – viele Schichten liegen in der Familie zugrunde, die tief mit der chinesischen Geschichte, wie zum Beispiel der proletarischen Kulturrevolution verwurzelt sind und das Schicksal aller tief geprägt haben. Davon reichen die Ausläufer auch noch bis in ihr Leben hinein: Denn was wäre gewesen, wenn die Umstände sowie die Geschichte eine andere gewesen wäre, wie hätte sie dann Heimat definiert und wo wären sie zu Hause gewesen? So öffnet der Film einen Weg nach China, durch einen distanzierten und doch liebevollen Blick.
»Weiyna – ein Heimatfilm«, lief im Programm des Kasseler Dokumentarfilm- und Videofest 2020.
© Tina Waldeck 2020