[Werner Herzog – Radical Dreamer]
Thomas von Steinaecker | Deutschland, UK 2022
Seine Existenz hat eine Bedeutung, nämlich ein guter Soldat des Kinos zu sein, erklärt Werner Herzog mit gewohnt ruhiger Stimme. Er hat viele Träume und Albträume der Menschheit eingefangen. Ein Schwenk über die amerikanische Stadt wie aus dem Bilderbuch. Schnitt auf den Straßenverkehr. Schnitt in ein Auto hinein. Er träumt nicht, aber wenn er lange Distanzen fährt, dann fühlt es sich manchmal so an, als würde er es – immer noch.
In dem Dokumentarfilm kommt nicht nur der Regisseur selbst zu Wort. Auch viele Interviews mit Arbeitskolleginnen und -kollegen sowie Familienmitgliedern werden eingespielt. Gespräche mit Wim Wenders (Regisseur), Patti Smith (Musikerin), Robert Pattinson (Schauspieler), Christian Bale (Schauspieler), Nicole Kidman (Schauspielerin und Produzentin) genauso wie Einblicke von Lena Herzog (Frau), Tilbert Herzog (Bruder), Lucki Stipetić (Bruder und Produzent) oder Martje Herzog (Ex-Frau). Der Konsens: Er hat sich verändert, aber er ist immer Werner geblieben.
Die Facetten des Lebens spüren
Alle seine Filme entstanden aus einem gewissen Schmerz heraus. Die ersten Erfahrungen davon, als die Kindheit sich nach Sachrang auslagerte, weil das Zuhause in München ausgebombt wurde. Ohne Vater blieb die Mutter die zentrale Figur in seinem Leben, – aber auch wenn die Frau Doktor in dem Dorf hoch angesehen war, blieb die Familie oft hungrig. Er war 19 Jahre alt, als er an einem Drehbuchwettbewerb teilnahm, der mit 10.000 DM dotiert war. Völlig überzeugt davon zu gewinnen, schrieb er innerhalb einer Woche das Drehbuch – und gewann. Die Geschichte: Ein deutscher Mann im Zweiten Weltkrieg, der wahnsinnig wird. Die Geschichte einer mentalen Verstörung und radikalen Auflehnung.
Lotte Eisner ist begeistert – endlich wieder ein guter deutscher Film! Sie wird Werner Herzogs Mentorin und knüpft für ihn Verbindungen zu Fritz Lang. „The Kindergarden is trying to make Films These Days“ – aber die Filmgeschichte der 60er-Jahre in Deutschland war generell eine Katastrophe, bemerkt Wim Wenders dazu. Heimatschnulzen: Die heile Welt, die viele Menschen nach dem Schrecken anscheinend gebraucht haben. Da fallen einige als eine plötzliche Bewegung aus dem Rahmen. Das Etikett „der junge deutsche Film“ entsteht.
FAZIT
Sich immer über Grenzen und einem „Menschen-Möglichen“ hinwegzusetzen. Auch die Dreharbeiten zu Fitzcarraldo und Klaus Kinski finden hier stimmigen Einklang in die Gespräche und schaffen einen persönlichen Einblick, – wie eine Pilgerreise in Werner Herzogs Leben hinein – der so wie er aufgewachsen ist, weitergeht: in einem Leben außerhalb der deutschen Spießigkeit in Los Angeles, um für sich immer wieder neue Perspektiven zu erschließen, – um immer interessiert und offen zu bleiben für ein geistiges und emotionales Wachstum. Das möge bei dem Biopic vielleicht auch die Botschaft für die zukünftigen Filmschaffenden sein, um wieder „neue Entdecker“ einer anderen Filmsprache in Bewegung zu setzen.
«Werner Herzog – Radical Dreamer» lief auf dem Internationales Filmfestival Amsterdam 2022.
© Tina Waldeck 2022