[Yellow Cat]
Adilkhan Yerzhanov | Frankreich, Kasachstan 2020
Leichtes Spiel?
Typischer Western style – und doch anders. Der Arm einer Statur hängt am seidenen Faden, so wie das Leben von Hauptcharakter Kermek. Nichtsdestotrotz betritt er einen Laden in der Einöde, um nach Arbeit zu fragen. Hier greift eine fast schon reduzierte schwedische Ästhetik mit minimalistischer Mimik. Während er selbst seine ebenfalls minimalistischen schauspielerischen Talente anpreist, interessiert den Chef des Ladens eher, wie schnell er Plastiktüte öffnen kann. Eine aussterbende Fähigkeit!
„Es gibt keine größere Einsamkeit als die eines Samurai, außer vielleicht die eines Tigers im Dschungel“ (aus: der eiskalte Engel, 1967)
Diesen Film von Jean-Pierre Melville hat Kermek mehrmals im Knast gesehen, allerdings immer nur die erste Stunde, denn nur solange durften sie fernsehen. In diesen Szenen kennt er aber jede Bewegung von Alain Delon auswendig. Sieht er ihm nicht ähnlich? Nein, holt ihn die Realität sachlich zurück. Die Schlange an der Kasse wird immer länger, denn seine Fähigkeiten mit Plastiktüten sind eingeschränkt. Währenddessen fährt ein gelbes Auto vor und zwei Herren steigen aus, die im weiteren Verlauf des Films fast schon an „Fear and Loathing in Las Vegas“ erinnern. Bis auf die elementare Blasenschwäche, die ist neu.
Diese beiden unterbrechen den sich an der Wirklichkeit übenden Kermek. Die Kunden diskutieren, als er abgeführt wird, was ein ehemaliger Sträfling auch an einer Kasse soll. Als Soldat ist er bestimmt besser geeignet, wird befunden. So wird er zwischen anderen Männern eingereiht: Eine Bande Kleinkrimineller, die, angeleitet von einem Wachmann, Geld für Baldyr eintreiben sollen, dem hier alles gehört. Er ist doch so eine Art Performer, oder? Philosophisches Ringen um die idiotischen Fragen seiner Existenz. Hier wirkt der Außenseiter nur halb so komisch wie alle anderen, die sich beleidigen, treten und Befehle ausführen, deren Sinn in allen weiteren Szenen immer mehr ad absurdum geführt wird.
Vielleicht sollten wir aufhören zu leben wie die Hunde?
In dieser fremdbestimmten Atmosphäre hallen seine eigenständigen Bemühungen, Geld zu verdienen, um sich ein Kino und damit ein Stück eigener Freiheit aufzubauen, nach. Doch stattdessen widmet er sich zunächst einmal Eva, einer Prostituierte aus dem Bordell, die ihre spielerische Art ebenso wie er behalten hat. Ihr Vater erklärt Kermek plump, das die junge Frau Baldyr's Hure sei, genau wie alles hier dessen Besitz ist: Dieser gibt die Spielregeln vor. Man kann Eva nicht „frei kaufen“. Doch in dem von den Männern gestohlenen gelben Auto scheint die hart erkämpfte Autonomie von Kermek und Eva im Laufe des Films ganz im Sinne von Bonnie und Clyde voranzuschreiten: Ein Paar, das sich spielend versteht. Aber für eine Hochzeit ist es vielleicht noch zu früh, erklärt Eva.
Die kleinen ruhigen Momente zeigen zwischen ihnen eine tiefe Verbundenheit, die sich aber auch immer wieder im Spiel auflöst und loslöst. Zwischen Höhen und Tiefen, Ausweglosigkeit und Abhängigkeit sowie der immerwährenden Verfolgung durch das umgebende System, das die beiden wiederum nicht loslassen kann und möchte. Der naive Idealismus wird von der Realität überholt, die Menschen zu bestimmten Handlungen zwingt, und die Illusion verkörpert so lange Leichtigkeit, bis sie von der vorherrschenden Gesellschaftsordnung endgültig unterdrückt wird, – wobei sich dazwischen fast beiläufig auch das Wortspiel mit der gelben Katze entschlüsselt.
Fazit
Eine Slapstick-Tragikomödie, die in ihrer leichten Eleganz nicht ganz an Buster Keaton oder Charlie Chaplin heranreichen kann, aber in der feinfühligen Inszenierung viele lohnenswerte Momente findet, in denen auch der angebliche Idiot (wie es auch schon oft in Italowestern mit anderen Helden der Fall war) am klügsten agiert. Manchmal ist aber auch Klugheit dumm: Da wären wir wieder im ad absurdum. Zielgenau schießt Kermek in Hände, doch die gewalttätigen Handlungen werden trotzdem weiter repetitiv und gedankenlos von anderen Männern ausgeführt. Zwischen der Harmlosigkeit, den Scherzen und der scheinbaren Gruppendynamik wirken die aggressiven Szenen umso brutaler und verlieren nichts von ihrer Paradoxie, in denen die Zuschauer sowie Regierungsformen als auch die Position der Kunst dazwischen hinterfragen können.
Regisseur Adilkhan Yerzhanov greift einige Elemente aus seinen Vorgängerfilmen auf, wie zum Beispiel den Regenschirm, wie er ihn auch in »The Gentle Indifference of the World« schon eingesetzt hat. Insgesamt ist »Yellow Cat« aber nicht ganz so philosophisch tiefgehend wie dieser: Auch wenn genauso viele existenzialistische Fragen aufgeworfen werden, können sich diese in dem Spiel nicht mit der gleichen poetischen Kraft entfalten. Nichtsdestotrotz ist der Film mit seinem feinen Humor und den behutsam arrangierten Szenen ein absolut sehenswertes Kleinod mit vielen Fragmenten zum Erkennen, Schmunzeln und Nachdenken.
»Yellow Cat« war der Eröffnungsfilm bei goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Kinos on Demand 2021.
© Tina Waldeck 2021