[Zum Tod meiner Mutter]
Jessica Krummacher | Deutschland 2022
„Man stirbt nicht einfach so“
Die Kamera erscheint genauso unruhig wie die junge Frau, die vor einem Arzt sitzt. Es wird ihrer Mutter nicht mehr besser gehen; keine Lichtblicke mehr zu erwarten. Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland zwar verboten, erklärt er ihr sachlich, aber wenn es ihre freie Entscheidung ist, nichts mehr zu essen und zu trinken, so ist das akzeptabel.
Zu Hause fällt die Tochter auf ihr schmales Bett, schließt die Augen und legt die Hände vors Gesicht. Im Kreis von Familie und Freunden versucht das Lachen die eigentliche Gefühlslage zu überstimmen. Da ist der Tisch von Helmut Kohl, wo er immer Saumagen aß: Bekanntlich hält Essen ja Leib und Seele zusammen. Ihre Mama wird nächste Woche das Essen und Trinken aufgeben, um zu sterben, erklärt sie ihnen. Da vergeht allen der Appetit, nur der Wein kommt gerade recht. Eine Freundin der Mutter raucht nervös: Verhungern und verdursten ist ja doch sehr brutal, ist das wirklich ihr Wille? Nun, sie soll zusätzlich auch Morphium bekommen, möglicherweise wird der geschwächte Körper dann einfach davon einschlafen. Schlafen hat sie immer geliebt.
Das Zimmer in der Pflegeeinrichtung. So sieht das also aus: Sterben. Manchmal überlegt die Filmemacherin, dass sie es gerne selbst beendet hätte, wenn sie nur ein Mittel dafür gehabt hätte. Schafft sie es, sie würdevoll zu begleiten? Sie streichelt die eingefallenen Wangen und auch die Mutter drückt ihre Hand an die Wange der Tochter. Schwere Gespräche auf Morphium. Über das Sterben entscheidet der liebe Gott, flüstert eine Pflegekraft leise. Die Tochter macht das Licht aus, kaum dass sie geht und liegt in der Dunkelheit in trauter Zweisamkeit mit ihrer Mutter wartend auf dem Bett. Lass mich nicht allein, bittet diese sie. Und die Tochter wünscht ihr den Tod – als baldige Erlösung.
Fazit
In diesem existenzialistischen, fast gewöhnlichen Alltag des Sterbens, der weder wie eine Gewohnheit noch alltäglich in unserer Gesellschaft gehandhabt wird, fallen unter anderem die Gedanken von Simone de Beauvoir und Sartre unauffällig am Rande. Wenig Musik verstärkt den Fokus auf das Wesentliche, das weder große Erklärungen noch tröstende Worte zu finden scheint, sondern nur Hilflosigkeit und ein Warten auf das Unausweichliche. Was ist Menschenwürde und ist das hier menschenwürdig, fragen sich auch die unweigerlich mit wartenden Zuschauenden, die in der Reflexion mit den eigenen Erfahrungen genauso allein mit ihren aufkommenden Gefühlen verbleiben wie die Filmemacherin. Ihr Film zeichnet mit Gefasstheit, feinem Humor und ausreichend Alkohol bis zum bitteren Ende, – von dem alle wissen, es wird kommen, nur nicht wann und wie –, ein hartes, aber nachhallendes Unterfangen.
«Zum Tod meiner Mutter» lief auf der Berlinale 2022 in der Sektion Encounters.
© Tina Waldeck 2022