[Das Kino sind wir]

Livia Theuer | Deutschland 2023


Jungen Menschen einen Schutzraum geben, damit sie neue Wege entdecken können, die nicht dem Mainstream entsprechen: Mit dieser Motivation baute sich 1981 in Kassel der Filmladen auf. Das Team rutschte zufällig zusammen und alle, die mithelfen wollten, waren willkommen. Schon früh wollten sie Prozesse in Bewegung setzen und eine Lebendigkeit im Denken erzeugen: So wurden unter anderem Demonstrationen gefilmt, damit sie im Kino wieder gezeigt und diskutiert werden konnten – und die Zuschauenden gingen mit neuen Ideen wieder aus dem Kino hinaus in die Gesellschaft.

In einer Zeit vor ProQuote Film

Auch Rosa von Praunheim lief hier im lebhaften Austausch mit der Schwulen- und Lesbenbewegung, um immer wieder die normativen Ordnungen zu hinterfragen und zu analysieren. Ebenfalls „Metall des Himmels“ genauso wie „Beruf-Neonazi“ (mit Kameramann Johann Feindt, der in den letzten Jahren u. a. auch bei „Lieber Thomas“ und „Igor Levit – No Fear“ für die Kamera verantwortlich gewesen ist). Alles war hier erlaubt, nichts verboten und kritisch wurde auch in den Graustufen diskutiert. Den Begriff einer „Cancel Culture“ gab es da noch nicht. 


Filmbild aus Das Kino sind wir ©Livia Theuer | Deutschland 2023
Filmbild aus Das Kino sind wir ©Livia Theuer | Deutschland 2023

Im Laufe der Zeit kommen Installationen und Filmkunst sowie ein zweites Kino hinzu. Wachstum, Veränderung und Prozess. Die soziale Plastik entsteht „nach dem gruseligen Beuys.“ Kunst muss sich beziehen – auf den sozialen Organisationen aufbauen und wachsen. Nicht nur Ulrike Oettinger und Monika Treut nutzen die Gelegenheit in den Interviews im Film, um das Förderungssystem zu kritisieren: So streng wie diese aktuell sind, hätten viele der damaligen Filme überhaupt nicht entstehen können, – welche doch wegweisende Klassiker geworden sind. Für eine vielfältige Kultur ist es wichtig, dass auch alternative Wege möglich sind.



FAZIT

Eine Werkstatt der Produktion sollte es werden und eine ähnliche Ästhetik vermittelt die Filmemacherin manchmal auch bei den Interviews, gefilmt vor einem schlecht ausgeleuchteten Greenscreen. Damals lief es nicht anders: Dinge wurden einfach ausprobiert und die Inhalte sind es, die die Zeiten überlagern. „Filme ohne Zuschauer“ war in Kassel eine der erfolgreichsten Reihen: fast schon eine Ironie auf die heutigen Zustände in den Kinos? Durch das entstandene Filmfestival sei der Kulturbahnhof in Kassel erst richtig aufgeblüht, – denn es konnte mehr in den öffentlichen Raum hinein gearbeitet werden. Aber: „Kino ist mehr der Film als der Ort.“ Die Substanz, die alles am Laufen hält, ist das gesellschaftlich relevante Material. Hier setzt dieser Film nicht nur ein Denkmal für die Film-Raritäten, sondern auch für jenen Menschen, die sich oft mit Verzicht für diese engagiert haben: jene, die die Filmkultur erst ermöglicht haben.


«Das Kino sind wir» lief in Anwesenheit der Regisseurin auf dem Lichter Filmfest Frankfurt International 2023.


© Tina Waldeck 2023