[In Liebe, Eure Hilde]
Andreas Dresen | Deutschland 2024
Ihre Hände pflücken Erdbeeren. Eine davon isst die zarte, kindlich wirkende Frau direkt. Ihre Mutter und sie schauen auf, als zwei Autos vorfahren: Hilde soll etwas Warmes einpacken und mitkommen, befiehlt ein Mann. Widerstandslos geht sie als Symbol eines Widerstandes mit.
Die Umstände erlauben es nicht, gut zu sein
Im Aufzug eines Gebäudes legt sie die Hand auf ihren sichtbar gewölbten Bauch. Der Mann möchte auch mal fühlen: Seine Frau ist ebenfalls schwanger, erzählt er leicht übergriffig, aber mit einer offenen Verbundenheit zu der jungen Frau, – zwischen Weichheit und Härte. Im Verhörzimmer fliegt dagegen ein Schlüsselbund aggressiv an ihr vorbei. Wozu besaß ihr Mann ein Funkgerät? Kennt sie den russischen Fallschirmspringer? Sie kämpft mit den Tränen, als sie auf die vorliegenden Fotografien blickt. Auf ihre Freunde.
Rückblick: In ihrer kleinen Laube übt sie mit ihrem Mann verliebt und verspielt die Morsesprache – auch auf den Körpern. Sie hören an dem Funkgerät, wie deutsche Soldaten Botschaften an ihre Familien übermitteln. Hilde wird die Nachrichten auf dem Papier von ihrer Arbeitsstelle notieren und sie an die durchgegebenen Adressen schicken.
Wieder zurück in Untersuchungshaft soll die junge Frau ihre Sachen ausziehen. Ganz ausziehen. Nach vorne beugen und husten. Eine winzige dunkle Zelle mit einem Klappbett wird geöffnet. Das Lauschen in sich hinein: Sie spürt das Kind noch. Gut. Eine Szene später: Das Kind bewegt sich nicht mehr. Panisch hämmert sie an die Tür und wird auf die Krankenstation gebracht, wo der Arzt sie abwertend mustert: Wozu sich Mühe geben mit ihr, einer Landesverräterin?
FAZIT
Ein harmonischer Film, der das Gedächtnis für die Vergangenheit um eine kleine Perle gegen das Vergessen erweitert, aber dabei nicht zu unbequem wird. In den parallel montierten Zeitsträngen, von denen einer energisch vorwärts in die düstere Zukunft von Hilde hinein marschiert, verläuft der andere rückwärts in eine unbeschwerte Jugend. Dort werden die Begegnungen mit Fritz, Ina und ihrem zukünftigen Mann Hans immer weiter aufgeschlüsselt. Während bei den Rückblenden die unterschwellige Bedrohung weicht, staut sich der Druck des nationalistischen Systems dagegen stetig an.
Besonders glänzt dabei die zart gespielte Aufrichtigkeit von Liv Lisa Fries, die den Film souverän trägt, – doch auch die ihr freundlich gewogenen Charaktere sind nachhallend in der Hilflosigkeit, wenig bis keine Hilfe gegen die Befehlsketten des Regimes geben zu können. Gerechtigkeit gibt es keine: So wirkt das abrupte Ende zwar intensiv, aber da, wo es endet, beginnt es – ganz im Sinne der parallelen Erzählweise – vielleicht auch wieder von neu.
«In Liebe, Eure Hilde» lief bei den 74. Internationalen Filmfestspielen Berlin 2024 im Wettbewerb.
© Tina Waldeck 2024