[Innocence]

Guy Davidi | Dänemark, Finnland, Island, Israel 2022


Triggerwarnung: Selbstmord

Auf dem Weg in das Erwachsenenleben hinein wird die spielerische Leichtigkeit des Seins schon in jungen Jahren weggenommen: Bereits im Kindergarten wird dem Nachwuchs erklärt, dass sie eines Tages Soldat:innen sein werden, – ob sie nun wollen oder nicht. Der emotionale Druck ist groß, denn in jeder Familie gibt es Personen, die im Militär waren – und dort gestorben sind. Vier Jahre sammelte der Filmemacher die Unterlagen von Gefallenen: Die Abschiedsbriefe jener, deren eigenes Ich in der Identität des Staates verloren gegangen ist.


Filmbild aus Innocence ©Guy Davidi | Dänemark, Finnland, Island, Israel 2022
Filmbild aus Innocence ©Guy Davidi | Dänemark, Finnland, Island, Israel 2022

Denkst du, mir geht es gut, nur weil ich lächele?

Ron dachte einmal, die Welt wäre für alle offen. Der Junge wurde vegetarisch, weil es auch den Tieren gut gehen sollte. ›Manchmal muss man stark sein.‹ Dies hörten sie hier von den Großeltern, den Eltern und der Direktion in der Schule. Adam übte Zaubertricks und wollte nach Australien, denn die Menschen dort schienen dort mehr im Einklang mit der Natur zu leben. Zohar sollte den Grenzzaun nicht anfassen, auch wenn seine Freunde in Gaza wohnten. 

In der Schule wurde der Holocaust in Europa bildhaft beschrieben, – die Kamera dokumentiert offene Münder im Kindergarten. Willkommen in der ersten Klasse: Spielerisch marschieren sie im Kreis und studieren patriotische Lieder über Israel ein. Die Vorbereitung auf ihr Leben? Die Musik in dem Film verzerrt sich, der Horror speist sich aus der Realität. Einige halten sich die Ohren zu. ›Nicht zusammenbrechen‹ –, so schrieb Ron. Friede sei mit ihm.



FAZIT

Im Q&A erzählte Guy Davidi, wie ihn dieser Film auch emotionale Arbeit gekostet hat. Dabei hat er versucht, besonders viel Aufmerksamkeit, Liebe und Fürsorge als Direktor in das ihm anvertraute authentisch ›Home-Movie‹-Material der unterschiedlichen Familien hineinzubringen. Achtsam sein, emphatisch sein. Es ist dabei kein einfacher Film geworden – er zeigt nicht das beste Bild von Israel und wie es ist, dort aufzuwachsen. Da ist er schonungslos ehrlich. Jene, die sich nicht in das militärische System einfügen, haben in dem Land keine Zukunft: Das Einordnen der Jugendlichen in ein System, das ihnen alle zeitgemäßen Ankerpunkte des Alltags entzieht – sie losgelöst von der Normalität auf die Stützpunkte setzt und auf die potenziellen Feinde trimmt: Gaza hat zwei Millionen Menschen. Eine lange Liste von Zielen. Die Zukunft der israelischen Gemeinschaft: Eine Traurigkeit, die nachhallt.


«Innocence» lief in der offiziellen Selektion auf der Biennale Venedig 2022 sowie auf dem DOKfest München 2023 in der Rubrik Best of Fests.


© Tina Waldeck 2023