[Parade]
Titas Laucius | Litauen 2022
Jazzmusik und Stimmengemurmel. Die weibliche Hand hebt sich in die Höhe – und die Instrumente der Kinder schweigen. Streng und energisch gibt Miglė den Takt vor, doch das Leben spielt nicht mit. Der erste Missklang: Der Fuß eines Jungen tritt gegen den Rücken eines Mädchens – und dieses schlägt zurück. Die jüngste Tochter wurde auch nie gefragt, ob sie im Orchester der Mutter spielen wollte.
„Das ist das Leben, kein Comicbuch“
Da ruft Eimantas, Miglės Ex-Mann an: Seine Mutter ist gestorben. Schweigend sitzen die beiden in der Kirche nebeneinander. Sein Blick wandert eine Bank weiter: Dort sitzt seine neue Verlobte. Seit 20 Jahren sind die beiden zwar schon geschieden, aber würde sie sich auch noch einmal kirchlich von ihm trennen? Stoisch nimmt Miglė die Turbulenzen des Lebens an und versucht das Beste daraus zu machen.
Von nun verfolgt die Kirche sie regelrecht: Ein 28-jähriger Pfarrer – im gleichen Alter wie ihre älteste Tochter – fragt sie über die ehemalige Beziehung aus. Wie würden sie den Sex damals beschreiben? Sie und Eimantas waren Studierende, rechtfertigt Miglė sich: Sie wurde mit 19 ungeplant schwanger, nur deswegen hat sie ihn geheiratet. Die Strafrichter bleiben skeptisch: Drei unangekündigte Besuche soll es geben, um vor allem ihr Verhalten zu überprüfen. Es sei wie bei einem Fußballspiel: Ein Match verloren, es steht 1:1 – und wenn die beiden nicht mitspielen, bleiben sie für die katholische Kirche eben weiterhin Mann und Frau.
FAZIT
In einer dezenten Komik zwischen der Abhängigkeit (und Unterdrückung) vonseiten der Kirche sowie der Abhängigkeit (und Unterdrückung) von den eigenen Gefühlen im Zusammenleben mit anderen, stehen in dem Film die Kompromisse im Vordergrund. In den mit Bedacht inszenierten Szenen wechseln die Personen zwischen den Bedürfnissen der Gegenwart und einer Aufarbeitung der Vergangenheit hin und her – und spielen sich zusammen mit ihren Eigenheiten auch wie ein Orchester ein. Besonders Miglé (Rasa Samuolytė) geht glaubwürdig durch alle emotionalen Höhen und Tiefen und schafft es besonders, dass die Zuschauenden sich mit ihr als Taktgeberin in die absurden Alltäglichkeiten einfühlen können.
«Parade» lief im Wettbewerb des goEast – Festival des mittel- und osteuropäischen Films 2023, wo Viesturs Kairis die Jury überzeugen und den Preis für die Beste Regie sowie 7.500 Euro für sich gewinnen konnte.
© Tina Waldeck 2023