––––––– Resilienzfilm –––––––



[Primitive Diversity]

Alexander Kluge | Deutschland 2025


Im Hintergrund rattert ein Projektor immersiv. Die Ästhetik erinnert direkt an Cosmic Miniatures, die essayistische KI-Collage von Alexander Kluge aus dem letzten Jahr. Der sich nun aus diesen Überlegungen weiterentwickelte Spielfilm Primitive Diversity formt erneut die gleiche K.I.-Dynamik und verknüpft die so gestalteten Gedankengänge mit Verbindungspunkten zu einst real gefilmten Fragmenten des Filmemachers.

Schöpferische Kompromissbereitschaft?

Der Filmtitel Einfache Vielfalt bezieht sich dabei auf die Filmgeschichte bis zum Jahr 1929. Die Jahre, in denen die ersten Kameras noch die tatsächliche Realität festgehalten haben, bevor jene inhaltlich verformt und bewusst (um)gestaltet wurden. Ein Bild ist ein Bild? Es entstehen intellektuelle Postkarten, auf die sich die Zuschauenden zunächst einstellen müssen. Die großen Cäsaren, die heute in Silicon Valley sitzen, werden eingeführt – die generierten Bilder erinnern vage an Francis Bacon: Aber es sind Steve Jobs, Bill Gates, Elon Musk, Jeff Bezos und Mark Zuckerberg. Der 93-jährige Filmemacher stöbert in den Archiven, nimmt das bestehende und formt es um: baut die Machtinhaber zu Clowns in Zirkusmanegen um, zu Lügenbaronen und Hampelmännern. 


Filmbild aus Primitive Diversity © Alexander Kluge | Deutschland 2025
Filmbild aus Primitive Diversity © Alexander Kluge | Deutschland 2025

"Bevor die Glut in dir erlischt, verlass die Stadt, die keine ist"

Leere Gesichter treiben im Weltraum zu den Geräuschen der Planeten, von der NASA aufgezeichnet. Mehr als 40.000 Jahre gibt es die Einbildungskraft, worum also nicht nutzen: diese Kamera in unseren Köpfen? Das tatsächliche Geschehen verschwindet sowieso aus dem Gedächtnis, was bleibt, sind Legenden und die künstlerischen Verarbeitungsprozesse von den Schaltplänen vergangener Cäsaren. Eine Ziege läuft mit Demonstrationszügen durch das alte Frankfurt a. M. und Menschen bleiben in ihrem Angesicht verwundert stehen – nein, das sind keine K.I. generierten Bilder. Schematas prägen Zeit und Raum, während Panzer dazwischenfahren. Wild, aber tonlos gestikuliert Helge Schneider: Es verhallen die Antworten unwesentlich im Raum. Hätten die Menschen glücklicher werden können, wenn es die Kriege, wenn es den Cäsarenwahnsinn nicht gegeben hätte?

FAZIT

Die Künstler*innen aus der Avantgarde waren schon immer jene, die furchtlos vorangingen und ausprobierten; die vor der Realität die Augen nicht verschlossen haben. Bietet ihnen hierbei der Spielraum mit K.I. neue Möglichkeiten oder sind es nur menschliche Verabschiedungen? Das Gestern ist lange vorbei, nicht nur politisch. Inhaltlich ist Primitive Diversity dabei ein klassischer Kluge: Das Unverständnis aus der Vergangenheit wird spielerisch absurd, wie gewohnt bei dem Filmemacher, verschlüsselt in die Gegenwart hinein getragen und immer weiter verzerrt, bis selbst die Realität völlig absurd – viel absurder als das mit K.I. generierte Universum – erscheint. Am Ende löst sich dabei dann auch der doch noch mühsam visuell-konstruierte Knoten in einem wunderbaren Übergang zu Sergei Eisenstein und dessen Notizen, die auf alles ein weiteres Licht werfen. Ja, es hätte der gesamte Film so sein können, wie die letzten drei Minuten, – aber es hätten auch viele Leben anders, besser verlaufen können. Leider lagen die Kriege und die Cäsaren dazwischen. Oder sie mussten dazwischen liegen, damit die kleinen Lichtblicke doppelt so sehr wertgeschätzt werden.


«Primitive Diversity» lief in der Weltpremiere auf dem Internationalen Film Festival Rotterdam 2025 in der Selektion Harbour.


© Tina Waldeck 2025