[Stepne]

Maryna Vroda | Deutschland, Polen, Slowakei, Ukraine 2023


In der Ukraine holpert im Sonnenuntergang der Bus einen Sandweg entlang. Ein Mann im mittleren Alter steigt mitten in der Einöde aus, – da, wo er einst seine Kindheit verbracht hat und wo die Vergangenheit noch nicht ganz vergessen ist.

Schweigen in der Steppe

Im Haus setzt er sich an das Bett seiner sterbenden Mutter und bedankt sich bei Anya, dass sie sich so gut um sie kümmert. Es wird hell, als die alte Frau hochschreckt. Wer ist da? Er ist es: Toliya – ihr Sohn. Und wo ist sein Bruder, warum kommt er nicht? Aufgrund des schlechten Empfangs bindet Anatoliy sein Telefon an einen Stock. Wann kommt er endlich, seine Mutter möchte ihn sehen, ruft er symbolisch zu seinem Bruder hinauf.


Filmbild aus Stepne ©Maryna Vroda | Deutschland, Polen, Slowakei, Ukraine 2023
Filmbild aus Stepne ©Maryna Vroda | Deutschland, Polen, Slowakei, Ukraine 2023

Er soll im Haus nichts wegwerfen, ohne sie zu fragen, bittet die Mutter ihn. Mit einer alten Tigermaske auf dem Kopf durchstöbert er die Vorratskammer und spielt abends Schach mit seinem alten Freund Ivan. Es ist hart, alte Traditionen aufrecht zu halten – mit den ganzen Kriegen und Revolutionen. Alle jungen Menschen sind für Revolutionen – und gehen weg. Fortschritt ist daher der Feind der Tradition, findet Anatoliy. Aber was heißt schon Fortschritt, wirft Ivan ein. Wieder schreckt die alte Frau hoch: Hat Tolya ihren Schatz gefunden? Sie hat ihn draußen vergraben, flüstert sie leise.

FAZIT

Nicht nur das auf dem Dachboden zurückgelassene Porträt von Lenin ist mit sanftem Strich gezeichnet. Liebevoll und mit Ruhe blickt der Film auf die Erfahrungen, die mit der älteren Generation zusammen aussterben und von den Jüngeren nicht mehr aufgegriffen, gar nicht erst gehört oder verstanden werden. Besonders poetisch inszeniert ist der Totenschmaus im Zusammen(er)leben der Bewohnerinnen und Bewohner, als Erfahrungsaustausch vergangener Erlebnisse: über die Härte, Kälte und das Leiden in dem kleinen Dorf. Von den persönlichen Einsätzen in der sowjetischen Armee. Dabei bleiben die Gesichter und Geschichten absolut authentisch und alle Charaktere transportieren in der wunderbar unaufgeregten Atmosphäre glaubwürdig die Gefühle, die überwunden und doch für so viele Schicksale prägend sind und waren.



«Stepne» lief auf dem Locarno International Film Festival 2023 und konnte hier sowohl den Internationalen Wettbewerb als auch den FIPRESCI Preis für sich gewinnen. In Deutschland war der Film im Programm des goEast 2024 innerhalb des Wettbewerbs zu sehen.


© Tina Waldeck 2024