[The Vanishing Soldier]

Dani Rosenberg | Israel, 2023


Schritte in einem dunklen Raum. Ein Messer schneidet – ein Löffel rührt. Bestimmungen einer Existenz. Ein schwaches rotes Licht blendet sich ein und bestätigt das Gehörte: Eine Mahlzeit wird zubereitet. Auch in Kriegszeiten müssen gewöhnliche Bedürfnisse erfüllt werden, nur dass im Hintergrund die Geräusche der fallenden Bomben zu hören sind.

Alles hat Konsequenzen

Mehrere Kameraden sitzen nebeneinander. Einige schnarchen. Plötzlich weckt sie einer auf, – schnell, sie sollen kommen. Sie beeilen sich. Nur einer bleibt alleine zurück. Der 18-Jährige geht durch eine Tür, presst sich an die Wand. Schnelles Atmen. Weit aufgerissene Augen. Die Kamera fährt langsam in den Hof hinaus: Tote und Mauerreste in Gaza – der Junge rennt durch die Trümmerlandschaft. Stiehlt ein Auto. Fährt bis zur Grenze, steigt aus und springt darüber. Schreit. Und läuft weiter.


Filmbild aus The Vanishing Soldier ©Dani Rosenberg | Israel, 2023
Filmbild aus The Vanishing Soldier ©Dani Rosenberg | Israel, 2023

Desertion ist nur ein Wort, solange es nicht ausgeführt wird. Die Suche nach Normalität – nach der Großmutter, dem Vater und der Mutter genauso wie nach der Freundin. Dazwischen läuft der Alltag in den Straßen von Tel Aviv stetig mit und weiter. Doch aufgewachsen in einer Welt, in der der Krieg stets gegenwärtig ist, bleibt das Wort der Freiheit nur eine Fassade ohne Bedeutung. In den Nachrichten wird von neuen Angriffen berichtet. Er ist das Herz des Landes, verkünden die Touristen, als sie seine Uniform sehen: Das ist der Spirit der jüdischen Menschen und der jüdischen Liebe. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen.

Er stiehlt die Kleidung der Touristen und trägt von nun an die weiße Unschuld. Die Rolle des Soldaten ablegen, wegwerfen, begraben wollen: keine Grenzen zwischen Leben und Albtraum. Wieder läuft er davon. Die ungewünschte Normalität hinter sich lassen – doch wie, und wo es soll es weiter gehen? Ist er ein Held oder wird er in einem Kriegsgefängnis landen? Wird er in Israel bleiben, fortgehen oder weiterkämpfen? Fragen, auf die er genauso wenig wie seine Familie eine Antwort weiß – und sich so dem Schicksal weiter überlassen muss.



FAZIT

Shlomi rennt. In dem Coming-of-Age-Drama rennt er vor allem, was als Belastung empfunden werden kann, weg – und findet nur neue Dinge, die belastend sind. Mit exzessiven Schlagzeug-Trommeln in einer intensiven Vertonung folgen ihm die Taten, die Auswirkungen haben und auf die wieder neue Auswirkungen folgen. Die junge Generation in der Kriegsmaschinerie als die Spielbälle ihrer Vorsehung, aus denen sich eine Identität konstruieren soll: Eine Bestimmung, die immer nur zu neuen Schicksalsschlägen führen muss. Ein offener Blick von den Zuschauenden ist hier gefordert, die in der Bewertung der Handlungen zwar eine emotionale Einordnung vorgegeben bekommen, – aber wo doch viel Spielraum für ein eigenes Ende bleibt.


«The Vanishing Soldier» lief auf dem 76. Locarno Filmfestival 2023 im Internationalen Wettbewerb.


© Tina Waldeck 2023